: Selbstbedienung bei Ärzte-Funktionären?
■ Die Justiziarin der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen musste gehen, nachdem sie dem eigenen Vorstand dubiose Praktiken bei der Versorgung eines Funktionärs vorgeworfen hatte
Selbstbedienungsmentalität, Vorteilsnahme im Amt, zumindest aber fragwürdiges Finanzgebaren bei der Versorgung von Funktionären: Genau dies ist es, was Teile der Bremer Ärzteschaft Vorstand und Geschäftsführung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bremen vorwerfen. Der Kern der Kritik: Bei der Berechnung des Praxisbudgets des heutigen 2. KV-Vorsitzenden, Dr. Jörg Andreas Rüggeberg, soll es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Seine besondere Note erhält der Fall dadurch, dass der Hausjuristin, die den Vorstand mit den Vorwürfen konfrontiert hatte, wenige Tage nach ihrem Auftritt fristlos und außerordentlich gekündigt wurde. „Kritische KV-Justiziarin gefeuert“ titelte in der vergangenen Woche entsprechend das Fachblatt „Medical Tribune“ und widmete sich ausführlich dem „Zank um den Politikbonus“ für den Bremer Ärzte-Funktionär.
Zur Vorgeschichte: Dr. Rüggeberg, der in Osterholz eine chirurgische Praxis betreibt, gilt manchen als berufspolitischer Senkrechtstarter. Schon vor seiner Zeit als KV-Vize war er Präsident der Gemeinschaft fachärztlicher Berufsverbände; heute kommen dem Vernehmen nach noch eine ganze Reihe von Gremientätigkeiten hinzu. Logisch, dass darunter die Arbeit in der eigenen Praxis leidet – und die Einnahmen schrumpfen. Eine „Sonderbedarfszulassung“ für Gefäßchirurgie und damit die Möglichkeit, den Umsatz zu pushen, bekam er nicht – Bedarf gedeckt. Einen Entlastungsassistenten, den der KV-Vorstand ihm offenbar sogar gewährt hätte, obwohl Rüggeberg damals noch kein 2. Vorsitzender war, wollte er nicht. Er entschied sich also für die Variante des Job-Sharings und beantragte beim Zulassungsausschuss ein höheres Praxisbudget.
Und dann geschah das, was der KV-Funktionär heute selbst als „verwaltungsrechtlich fragwürdig, aber politisch gedeckt“ bezeichnet: Obwohl man nach einer bundesweit gültigen Richtlinie die vier letzten Abrechnungsquartale aus den Jahren 1998 bis -99 als Berechnungsgrundlage hätte wählen müssen, entschied man sich für die Quartale III/1995 bis II/1996: Da florierte die Rüggeberg-Praxis nämlich noch, weil ihr Besitzer sich fachverbandsmäßig offenbar noch zurückhielt. Begründung der KV-Führung: Berufspolitisch aktive Ärzte, die überdies ja noch Aufwandsentschädigungen erhalten, sollen keine Nachteile erleiden.
Der Bremerhavener Mediziner und Ex-KV-Vorständler Christian Korn bekam Wind von dem Vorgang und informierte die Justiziarin. Im lag – und liegt – daran, den Deal zumindest „innerärztlich“ aufzuklären – schließlich bekomme auch ein Karnickelzüchterpräsident keine Extragelder, von Aufwandsentschädigungen vielleicht einmal abgesehen. Und die sollen auch Ärzte nicht zu knapp kassieren. Korn ist jener, der von „Vorteilsnahme im Amt“ spricht. Andere Kritiker sind der Meinung, dass Rüggebergs Einbußen durch den Praxisvorteil klar „überkompensiert“ worden seien.
Auch der mittlerweile geschassten KV-Juristin, der 41-jährigen Andrea Schulz, scheint der Budget-Trick nicht geheuer gewesen zu sein: Sie recherchierte auf eigene Faust und überraschte laut Medical Tribune den Vorstand mit dem Vorwurf, ungesetzlich gehandelt zu haben. Zwei Tage nach der Sitzung soll die Frau bereits mittels Beurlaubung aus dem Verkehr gezogen worden sein. Kündigungsgrund sei das „zerstörte Vetrauensverhältnis“, sagt KV-Geschäftsführer Klaus Stratmann. Sonst möchte er „gar nichts“ sagen, höchstens, dass die Vertreterversammlung der kassenärztlichen Vereinigung vor wenigen Tagen den Vorgang offiziell als „nichts rügenswertes Verhalten“ abgesegnet habe. Dabei sagt doch der begünstigte Rüggeberg selbst, dass man damals an „etwas an der gesetzlich vorgeschriebenen Linie“ vorbeimarschiert sei. Indes: Der Zweck heiligte offenbar auch hier die Mittel. Er habe durch seine berufspolitische Aktivität Umsatzverluste in sechsstelliger Höhe gehabt; die übliche Abrechnungsgrundlage hätte seine Verluste zementiert. Und das, wo politische Arbeit doch wünschenswert sei. Rüggeberg wittert nun eine gegen ihn gerichtete Kampagne. Es ginge darum, ihn als Mandatsträger zu beschädigen. Möglicher Hintergrund: Seit der letzten KV-Vertreterwahl regieren ausnahmslos Fachärzte den Bremer Verband, was „erhebliche Irritationen“ bei den Allgemeinmedizinern verursacht habe. Sagt Facharzt-Lobbyist Rüggeberg.
Spekulationen ranken sich auch um den rasanten Abgang von Justiziarin Schulz. Sie sei den KV-Oberen wohl zu „pingelig“ gewesen und überall angeeckt, sagt einer aus der Ärzteschaft. Nun könnte man die Gelegenheit beim Schopf gepackt haben, eine ungeliebte – zu kritische? - Mitarbeiterin loszuwerden. Fest steht aus Sicht von Schulz Anwalt Hubertus Hess-Grunewald, dass die zwei bereits ausgesprochenen Kündigungen unwirksam sind, da in beiden Fällen der Personalrat nicht zugestimmt habe. Eine dritte „ordentliche“ Kündigung für seine Mandantin, die eindeutig „diszipliniert“ worden sei, sei in Vorbereitung. Heute treffen sich die Streitparteien, um vielleicht doch noch zu einer gütlichen Einigung zu kommen. hase
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