: Jusos pflegen Streitkultur
Auf ihrem Bundeskongress in Köln wählten die Jusos den Hamburger Niels Annen zum neuen Chef. Er wird die verschiedenen Flügel unter einen Hut bringen müssen
KÖLN taz ■ „Zukunftsfähig“ und wieder attraktiv für Jugendliche wollten sie werden, hatten sich die Jusos gegenseitig versprochen. Von „Erneuerung“ war die Rede und einem neuen Zusammengehörigkeitsgefühl – doch am Samstagabend, nach eineinhalb Tagen demonstrativer Harmonie, war es dann doch wieder so wie immer.
Nachdem sich der 28-jährige Hamburger Niels Annen bei der Wahl zum neuen Bundesvorsitzenden der SPD-Jugendorganisation mit knapp 53 Prozent der Stimmen gegen die 26-jährige Hannoveranerin Barbara Gersmann durchgesetzt hatte, demonstrierten die Jusos auf ihrem Bundeskongress in Köln, dass sie nichts verlernt haben: Ausgrenzungs- und Dogmatismusvorwürfe der Minderheit an die Mehrheit, stundenlange Sitzungsunterbrechungen, unzählige Fraktionssitzungen, diverse Kungelrunden. Und im Sitzungssaal übten sich die Verbliebenen in Arbeiterliedgut: „Auf, auf zum Kampf“ und „Dem Morgenrot entgegen“ – bis zur Vertagung um 2.30 Uhr in der Nacht.
So kennt man die Jusos seit den Zeiten, als sie noch der heutige Kanzler Gerhard Schröder anführte. Dabei sollte diesmal alles anders sein. „Macht den Bundeskongress zu einem echten Ereignis: Überrascht alle – und seid euch einfach mal einig!“, hatte Franz Müntefering den 291 Delegierten am Freitag zugerufen, und die schienen die Worte des SPD-Generalsekretärs beherzigen zu wollen. Ausführlich ging der scheidende Juso-Chef Benjamin Mikfeld in seiner Abschiedsrede auf die Krise des Verbands ein. „Die Stärke der Jusos in den 70ern ist unser Fluch von heute“, sagte Mikfeld. Damals hatten sie noch über 300.000 Mitglieder und galten als politischer Faktor. Heute sind es nur noch rund 76.000 – davon weniger als zehn Prozent aktiv. Geblieben ist nur die alte Streit-Unkultur. In Richtung derjenigen SPD-Funktionäre, die die Parteiarbeitsgemeinschaft gerne lieber heute als morgen auflösen und attraktivere Angebote für Jugendliche schaffen würden, rief Mikfeld: „Wir haben diese Scheißkultur von euch geerbt.“ Es sei jedoch an der Zeit, die alten Schützengräben zuzuschütten, um wieder politikfähig zu werden.
Inhaltlich ist dies den Jusos auf ihrem Kongress gelungen. Alle zentralen Anträge wurden mit überwältigenderMehrheit beschlossen. Dabei vermieden die Jusos scharfe Töne gegen die rot-grüne Bundesregierung, setzten sich aber inhaltlich von ihr ab. So fordern sie in ihrem Leitantrag „Recht auf Zukunftschancen“ eine deutliche Ausweitung des Regierungsprogramms gegen Jugendarbeitslosigkeit, die Einführung einer Ausbildungsumlage für Unternehmen, die keine Ausbildungsplätze anbieten, sowie eine Reform des Bafög. Zudem treten sie für einen „Fonds für Zukunftschancen“ ein: Jede zehnte vererbte Mark solle dort eingezahlt werden, um das Bildungssystem zu fördern und zu modernisieren.
Ob solche Forderungen in der SPD Gehör finden, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es der neue Juso-Chef Annen schafft, den Kreis um seine unterlegene Gegenkandidatin Gersmann zu integrieren. Auf dem Kongress vom Wochenende gelang dies dem Geschichtsstudenten, der wie sein Vorgänger Mikfeld der „Juso-Linken“ – der früheren Stamokap-Fraktion – angehört, noch nicht. Annens Ausruf nach seiner Wahl bleibt erst einmal ein frommer Wunsch: „Die Jusos sind zurück auf der politischen Bühne.“ PASCAL BEUCKER
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