: Mit beiden Beinen im Universum
Abstraktion von fiktiven Satelliten im Weltall? Oder eine reale suburbane Datscha? Maix Mayer benutzt alte Zukunftsbilder, um aus ihnen Bilder für die Gegenwart zu generieren. Seine Ausstellung „Melancholie 70“ in der Galerie Eigen + Art
von MICHAEL KASISKE
Die Ausstellung ist ein ungeniertes Produkt aus Wille und Vorstellung. Maix Mayer stellt zu Beginn von „Melancholie 70“ rhetorische Fragen: „Ist das die Geschichte eines Mannes, der durch ein Bild aus seiner Kindheit geprägt wurde?“ und: „Ist das die Geschichte eines Mannes, der durch Filmbilder geprägt wurde?“. Danach bekommt man als Antwort zwei- und dreidimensionale Gebilde präsentiert, die Mayer während der Recherche nach den Ursprüngen der Zukunftsbilder seiner Vergangenheit rekonstruiert hat.
Das erste Image ist ein real existierendes Mini-Habitat namens „Universal“, das 1970 auf der Leipziger Messe präsentiert wurde, da es aufgrund seiner geringen Grundfläche ohne Baugenehmigung hätte errichtet werden können. Das Kindheitsbild vom Kugelhaus erinnert Mayer später an die „Domes“ des amerikanischen Ingenieurs Richard Buckminster Fuller, der Ende der Sechzigerjahre den Hippies an der Westküste seine geodätischen Kuppeln als Alternative zum Wohn-Establishment nahe brachte. Vor derlei unkontrollierbarer Subversion schreckten die Planer der DDR zurück. Die aus fünf- und sechseckigen Waben zusammengesetzte Kugel, die wie eine aus der Erinnerung entwickelte und insofern nur entfernt an die „Domes“ erinnernde Version der Architektur Buckminster Fullers wirkt, wurde nie in Serie hergestellt.
Mayer entdeckte, dass der Prototyp nach der Messe in einem Kleingarten nahe Berlin gelandet ist, wo er heute noch als Laube genutzt wird. Der Bau, obwohl aus Kunststoff, wirkt zwischen den Bäumen wie ein anthropogenes Objekt, das die Vermassung des Menschen fortschreibt. Obwohl der Zahn der Zeit ihm reichlich zugesetzt hat, weist es durch seine abstrakte Geometrie nach wie vor in die Zukunft.
Hier wechselt der Künstler seinen Blickwinkel von der Kindheit in die bewegten Bilder. Die Spur führt in den ersten Science-Fiction-Film der DDR – „Der schweigende Stern“, der in einem Satelliten ebenfalls 1970 spielt. Mayer hat einen Teil der Tragkonstruktion in der Galerie nachgebaut und gibt den Besuchern Gelegenheit, auf einem Podest sich selbst einen räumlichen Eindruck von der Existenz inmitten der Raumkapsel zu verschaffen. Doch ist die Konstruktion lediglich eine Abstraktion des fiktiven Satelliten im Weltall? Oder ist sie auch eine der realen suburbanen Datscha?
Dieses Vexierbild spielt auf den Möglichkeitssinn von Architektur an. Mit der unentschiedenen Referenz des Raumes legt Mayer die Erkenntnis nahe, dass auch die eigenen Bilder nur Modelle von Architektur sind. Wie bereits in früheren Arbeiten benutzt der 1960 geborene Künstler die Suche nach Zukunftsbildern aus der Vergangenheit, um daraus Bilder für die Gegenwart zu generieren. Das Vorgehen entspricht seiner These, dass wir von Images der Vergangenheit beherrscht sind und sie in der Gegenwart ändern müssen.
Mit seiner Rekonstruktion von Architektur und Fiktion nähert sich Mayer dem Autor der „Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde“, schrieb Buckminster Fuller doch 1938: „Das Entwerfen von Behausungen ist den Sternen mehr verbunden als der Erde. Sternguckerei? Zugegeben. Aber es ist wesentlich, die wirkliche Quelle der Energie und des Wandels zu betonen, im Kontrast zu dem Nachdruck, mit dem der Mensch ständig aufgefordert wird, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben.“
Bis 30.6, Di–Sa 11–18 Uhr, Auguststraße 26, Mitte
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