Was kostet eine Tour-de-France-Etappe?

Jan Ullrich leidet nicht nur an Asthma, sondern soll auch noch bestechlich sein. Das jedenfalls behauptet Bruno Roussel

BERLIN taz ■ Jan Ullrich hat es nicht leicht in diesen Tagen. Gerade hat der Held aus Merdingen den stärksten Asthmaanfall einigermaßen überstanden, droht schon das nächste Ungemach: Ullrich leide nicht nur an einer seit dieser Woche heiß diskutierten Erkrankung der Atemwege, sondern sei darüber hinaus auch noch bestechlich. Behauptet wird dies von Bruno Roussel, dem ehemaligen Manager des Rennstalls Festina. Roussel war maßgeblich in den Dopingskandal der Tour de France von 1998 verstrickt und später deswegen von seinem Rennstall entlassen worden. Die Zeit seither hat er offenbar recht kreativ genutzt – und ein Büchlein mit dem trefflichen Titel „Tour der Laster“ geschrieben, das nun, rechtzeitig vor der Tour 2001, in der französischen Tageszeitung Le Monde vorveröffentlicht wird.

Darin zu finden ist auch ein Kapitel, in dem Jan Ullrich als allzu geldgierig geoutet wird. Bei der Frankreichrundfahrt 1997, auf der Etappe hinauf nach Courchevel, soll es gewesen sein, dass Ullrich seinem französischen Konkurrenten Richard Virenque einen Etappensieg verkauft habe. „Du lässt mich gewinnen, okay“, soll, so schreibt es Roussel, der später als Dopingsünder entlarvte und gesperrte Virenque kurz vor dem Ziel gefragt haben – und Ullrich, damals schon im Gelben Trikot unterwegs, als Antwort nur Daumen und zwei Finger gegeneinander gerieben haben, zum Zeichen eben, dass der Etappensieg nicht ganz umsonst zu haben sei. Wie viel er kostete, so Roussel, damals Virenques Teamchef, weiter, habe er selbst einen Tag später erfahren: Ein Vertrauter Ullrichs sei zu ihm, dem Festina-Manager, gekommen, und habe den Preis genannt, der bei 100.000 Francs, rund 30.000 Mark, gelegen haben soll. „Kein Problem. Ich werde bezahlen“, habe Virenque diese Forderung kommentiert.

Was an diesem Tag funktionierte, schlug, so schreibt Roussel in seinem Buch weiter, ein paar Etappen später fehl. Und wieder war es Virenque, der mit Franc-Scheinen wedelte, diesmal allerdings nicht mit genügend. Jeweils 10.000 Franc habe der Festina-Mann dem Spanier Abraham Olano und dem Italiener Marco Pantani geboten, dafür sollten die beiden Spitzenfahrer mit dem Zweitplatzierten Virenque gemeinsame Sache machen und Spitzenreiter Ullrich davonradeln. Der zeigte just auf besagter Vogesen-Etappe erstmals Schwächen bei der 97er-Tour und konnte von seinen Mannschaftskameraden, allen voran Udo Bölts („Los quäl dich, du Sau“), nur mit viel Mühe im Gelben Trikot gehalten werden.

Virenques Vorhaben, Ullrich mit Hilfe von Pantani und Olano zu stürzen, scheiterte. Laut Roussel in erster Linie an der zu geringen Summe. „Man schlägt Pantani nicht 10.000 Franc vor“, will Roussel damals zu Virenque gesagt haben, jeweils 50.000 Franc pro Fahrer sowie 100.000 Franc pro Teamkapitän hätte der Zweitplatzierte für sein Vorhaben schon springen lassen müssen. Hätte er es getan, würde der Tour-Sieger 97 jetzt vielleicht Virenque heißen – und nicht Ullrich.

Natürlich ist Letzteres Spekulation, ein in der Radsportszene offenes Geheimnis hingegen ist, dass Allianzen auch über die Teamgrenzen hinweg durchaus üblich sind – und dafür auch Geld bezahlt wird. Dass selbst Tour-Etappensiege käuflich sind, ist in dieser Deutlichkeit hingegen einigermaßen neu und wird natürlich allseits bestritten. Aber schließlich gibt es ja auch kein Doping im Radsport.

FRANK KETTERER