: Der Trickster aus Schöneberg
Diskursiver Grenzgänger und linguistischer Taschenspieler, der die alten Mythen immer wieder neu aufschreibt: Ein Porträt des afroamerikanischen Literaten und Wahlberliners Darius James
von KARSTEN KREDEL
„Warum fragt ihr mich eigentlich alle nach Spike Lee?“ Darius James, afroamerikanischer Literat und Wahlberliner, hat keine Lust sich „Bamboozled“ anzuschauen – umso weniger, je öfter er darauf angesprochen wird. „Ich habe ihn gefragt und er behauptet, mein Buch nie gelesen zu haben. Ich glaube zwar nicht, dass er besonders viel liest, aber in diesem Fall ist es offensichtlich.“
Gemeint ist „Negrophobia“, James’ radikale Satire aus dem Jahr 1992. Bubbles, Prototyp der weißen blonden Teenager-Sexbombe, wird von ihrer schwarzen Haushaltsangestellten mit einem Voodoo-Fluch belegt und auf einen Horrortrip durch ihre rassistischen Fantasien und Ängste gejagt. Sämtliche Karikaturen von hinterhältigen, coolen, einfältig grinsenden, größenwahnsinnigen, gewalttätigen, grenzenlos sexualisierten, cracksüchtigen, devoten, rhythmisch begabten, schwarze Magie praktizierenden, den Tod aller Weißen propagierenden und Wassermelonen essenden Schwarzen, die Amerika je hervorgebracht hat, erwachen als hybride Monster zum Leben. Ziel des Romans: Jeder, der nach der Lektüre einen rassistischen Gedanken hat, soll sich übergeben müssen.
Darius James ist der Typ, für den die Poetry-Szene in New Yorks Lower East Side heute nur noch eine Bastion für die Jeans-Werbung ist. Zum Glück hat er sich Ende der Neunziger in Berlin verliebt, wo scheinbar jährlich ein Riot stattfand und es Kneipen in Kellerlöchern gab. Nach drei Jahren weiß er es besser, aber er mag Berlin. Hier habe er nicht das Gefühl, verrückt zu sein, wenn er über seine Ideen rede. Und: „Die Leute nehmen sich Zeit, an den Blumen zu riechen.“
Als er das sagt, schaut er mit diesem halb interessierten, halb amüsierten Blick. Diesem listigen, schlauen und freundlichen Blick, der wegen seines Sehfehlers scheinbar haarscharf an einem vorbeigeht. Darius James ist ein recht kleiner Mann mit hochgezogenen Schultern. Es ist früher Nachmittag, er ist noch nicht richtig wach und sitzt zur Seite gesunken vor seinem Sandwich in einem Café am Winterfeldtplatz. Aber seine Augen sind überaus lebendig.
Hier, in der untergemieteten Wohnung gleich um die Ecke, kann er es sich leisten, stressfrei zu arbeiten. Im Moment an einem Buch über Voodoo und den kulturellen Archetyp des Zuhälters mit dem Arbeitstitel „Bitch Slap – A Player’s Guide to Macking in a Postfeminist Age“. Ähnlich wie „That’s Blaxploitation“, sein letztes Buch, ist es als radikalsubjektives Anti-Standardwerk angelegt, mit Auftritten von und Rekursen auf Donald Goines, Iceberg Slim, Ed Bunker, Valerie Solanas und Donna Haraway.
Gleichzeitig schreibt er an einem zweiten Roman, während das heimliche Lieblingsprojekt auf Eis liegt: Ausgehend von der Geschichte des haitianischen Revolutionärs François Macandal will er eine Art universalen Revolutionsmythos kreieren – darin sollen auch Gespräche eingehen, die er hier in Deutschland mit früheren RAF-Mitgliedern geführt hat. Es fehlt nur noch jemand, der seine Idee kauft, ohne ihn als Autor auf halber Strecke loswerden zu wollen.
Tatsächlich scheint es, als sei James mit jeder Tricksterfigur verwandt, die von Afrika über den Atlantik verschifft wurde: Der Trickster als diskursiver Grenzgänger, als linguistischer Taschenspieler, als Archetyp des schwarzen Komödianten, der weiß, dass Worte niemals eindeutig sind, und deshalb immer etwas anderes meint, als er sagt. Im subversiven Sprachspiel des Tricksters werden die alten Mythen immer wieder neu geschrieben, im Dialog mit der Realität. James lässt die Figuren amerikanischer Popkultur aufeinander treffen, bis alle Eindeutigkeiten beseitigt sind. Das ist auf jede nur erdenkliche Weise unkorrekt und provokant, es ist unglaublich komisch, und es ist befreiend.
In Deutschland ist „Negrophobia“ vergriffen. Irgend jemand will wohl eine Neuauflage machen, aber Genaues weiß James noch nicht, auch nicht, ob sich nach dem Tod seines Verlegers Erich Maas etwas für ihn verändern wird. Ohnehin sei er viel weniger am Veröffentlichen interessiert als an der Arbeit selber. Dann möchte er lieber über die Ausstellung von Marc Brandenburg reden, für dessen Serie mit schwarzweißen Zeichnungen er eine Szene aus „Negrophobia“ in eine Performance umgewandelt hat. Mickey Mouse („eine direkte Fortsetzung des blackfacing“) in einer disneyfizierten schwarzen SS-Uniform, die Martin Luther Kings bekannteste Rede in die ultimative rassistische Fantasie verkehrt – „Gone at last! Gone at last! Thank God Almighty, them Niggers is gone at last!“ – während über ihm eine weiße Taube wie vom Pathos der anschwellenden Musik ergriffen aufgeregt flatternd ihre Kreise zieht.
Je mehr sich Darius James warm redet, desto öfter nimmt er eine gedankliche Seitengasse. Innerhalb der Zeitspanne eines Weinglases geht es um die letzten Mängel der deutschen multikulturellen Realität (genießbare Kartoffelchips), schwarzen Kulturseparatismus und die Idee eines digitalen Neo-Blaxploitation-Films, in dem die Heldin eine Gruppe afrodeutscher Nazis bekämpft, Fünfzigerjahre-Acid-Romane, die amerikanische Obsession für Nazis, Red-Scare-Propaganda und den „Schwarzen Kanal“. Als er hört, dass Angela Davis in der DDR als kommunistische Heldin galt, ist er fasziniert: „Bei uns war sie auch eine Heldin – weil sie den größten je gesichteten Afro hatte!“
„Full Circle“, von Marc Brandenburg u. Darius James, bis 29. 6., Sorauer Str. 3; nächste Performance heute 21 Uhr
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