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Sperrmüll-Safari unter Palmen

Auch im Urlaub wühlen Margot und Herbert Knolf nach seltenen Tonnen

Im Wertstoffhof von Montauban fanden die Knolfseinen optimalen Stellplatzfür ihr Wohnmobil

Feinster weißer Sand, curaçaoblaues Meer und leise im Wind sich wiegende Palmen – ein Strand wie aus dem Reisekatalog. Doch das Paradies hat einen Schönheitsfehler: Verrottende Autoreifen und ausrangierte Kochtöpfe trüben nachhaltig die Bilderbuchidylle. Nur zwei Urlauber haben sich an den Strand verirrt, der der dominikanischen Inselhauptstadt Santo Domingo als Müllhalde dient. Wo andere Touristen unverzüglich daran gingen, ihre Regressforderungsschreiben an den Reiseveranstalter aufzusetzen, fühlen sich Margit und Herbert Knolf wie im siebten Urlaubshimmel. „Eine zünftige Sperrmüllsafari – was gibt es Schöneres?“, fragt die sportive Blondine, während sie fachmännisch einen verrosteten Blecheimer inspiziert.

Nicht alle Deutschen wollen sich im Urlaub wochenlang nur unter Palmen räkeln. Zu diesen wenigen zählt das Ehepaar Knolf aus Weilheim in Oberbayern. „Ich arbeite gewissermaßen auch in den Ferien“, sagt Margit Knolf, „aber das mache ich gern.“ Das ist kein Wunder – schließlich hat die begeisterte Müllvermeiderin aus ihrem Hobby einen Beruf gemacht: Sie verkauft Mülltonnen. In der Branche ist sie schon seit 1979. Damals machte sie als erste Frau in Bayern eine Ausbildung bei der städtischen Abfallbeseitigung Rosenheim.

Vor drei Jahren hat sie sich selbstständig gemacht und betreibt seitdem die Tonnenboutique „Müllkastl“ in Weilheim. Übrigens die Erste ihrer Art in Deutschland. „Ich muss sagen, dass mein ‚Laderl‘ mit einem breiten Sortiment an exklusiven Designertonnen und antiken Müllbehältnissen nach einigen Anlaufschwierigkeiten pfundig läuft.“

Um an die begehrten Sammlerobjekte zu kommen, geht die mit einem Beamten des Bundesamts für Betonnungswesen verheiratete 42-Jährige häufig auf Reisen. „Herbert habe ich übrigens auf einer nordfranzösischen Sperrmüllsammelstelle kennen gelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick, und seitdem klappern wir auf unseren Reisen natürlich immer die einschlägigen Schrottplätze, Wertstoffhöfe und Recyclingstellen ab, in der Hoffnung, eine Tonne zu ergattern, die irgendein Ahnungsloser einfach weggeworfen hat. Unsere ganze Leidenschaft gehört nämlich den wunderschönen, antiken Abfallbehältern. Sie wissen schon, Empire und Louis XVI.“, sagt sie, während sie mit dem Staubwedel sorgfältig ihre Schätze abstaubt.

Im Frühjahr ging es bereits nach Frankreich. Im Wertstoffhof des südwestfranzösischen Städtchens Montauban fanden die Knolfs einen optimalen Stellplatz für ihr Wohnmobil. Eine wunderbare Aussicht auf die Müllhalden und die zentrale Lage waren Garanten für einen gelungenen Aktivurlaub der kurzen Wege. Mit Kindern wäre so ein Urlaub kaum zu machen, aber die doch recht beengten Wohnverhältnisse in ihrem urgemütlichen Weilheimer Altglascontainer ließen den Kinderwunsch bislang nicht so recht aufkeimen ...

Für die sportlichen Oberbayern gibt es sowieso nichts Schöneres, als frühmorgens nach einem ausgiebigen Frühstück auf Pirsch zu gehen. Zwölf Stunden angestrengter Suche sind dann leicht an der Urlaubsordnung. Aber auch nur ein gefundenes Exemplar entschädigt für all die Mühe. Beider besonderes Interesse gilt dabei der „grauen Periode“ – so bezeichnen Fachleute die Zeit bis 1900, in der gusseiserne Prachtstücke in heute kaum mehr vorstellbarer handwerklicher Qualität gefertigt wurden. Und sie wurden fündig, schon am ersten Tag: eine wundervoll mit Schäferszenen bemalte, emaillierte Aschentonne aus dem Bordelais, 18. Jahrhundert, perfekt erhalten, mitten zwischen Kühlschränken und verrosteten Maschinenteilen! Ein schöneres Ferienerlebnis kann es für die Knolfs gar nicht geben.

Nächstes Jahr soll es, wenn es das Geschäft zulässt, erstmals nach China gehen. Auf dem Sinkianger Trödelmarkt, wurde den Knolfs von einem befreundeten Hobby-Pathologen berichtet, sollen noch hervorragend erhaltene original Ming-Tonnen aus feinstem Porzellan zu haben sein – und das zu Spottpreisen!

RÜDIGER KIND

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