: Das Puzzlespiel mit den Knochen
Aus Knochenresten können Forscher die Lebens- und Leidensgeschichten unserer Vorfahren ablesen
Alte Knochen sind mehr als ein Klümpchen Kalzium, Magnesiumphosphat, kollagene Fasern, Salze und Wasser. Sie erzählen Lebens- und manchmal auch Krankengeschichten unserer Vorfahren. Abriebspuren an Zähnen beispielsweise geben Auskunft über das Alter eines Menschen. Denn je weniger von dem Zahnschmelz übrig blieb, desto länger hat der Betreffende gekaut und damit auch gelebt.
Karies war bei den Menschen in der Jungsteinzeit noch so gut wie unbekannt. Nur etwa acht Prozent der Zähne, die aus dem vierten und fünften Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung stammen, weisen überhaupt Kariesspuren auf. Die Wissenschaftler wundert es nicht: Denn unsere Ahnen nahmen überwiegend pflanzliche Nahrungsmittel mit hohem Anteil an Faserstoffen zu sich, was die Zähne gesund hielt.
Ein paar tausend Jahre später, im Mittelalter, war Karies wegen des kohlehydratreichen Speisezettels und der fehlenden Zahnhygiene eine Volkskrankheit. Noch heute lassen zerfressene Zähne die Schmerzen der Ritter und fahrenden Leut’ erahnen – vom Mundgeruch einmal ganz zu schweigen.
Die Arbeit mit alten Knochen gleicht häufig einer detektivischen Spurensuche. Litten Steinzeitmenschen unter Nackenschmerzen? Viele Funde von Halswirbelknochen aus dieser Zeit weisen jedenfalls starke Abnutzungserscheinungen auf. Möglicherweise, so vermuten Experten des Instituts für Humangenetik und Anthropologie der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, erledigten unsere Vorfahren ja alle Arbeiten vom Schleifen der Steinwerkzeuge bis zum Getreidemahlen in der hockenden Haltung. Verschleißerscheinungen an den Gelenken wiederum waren damals noch fremd. Die traten erst mit dem Einsetzen der Bronzezeit, gegen 1.500 vor unserer Zeitrechnung, auf. Vor allem Kreuzbein- und Hüftgelenke waren betroffen. Eine Folge zunehmender Spezialisierung der Arbeit?
Die Knochenarbeit gleicht einem Puzzlespiel: Denn wenn man von Knochenfunden aus dem Neolithikum oder späteren Zeiten spricht, dann handelt es sich in den seltensten Fällen um gesamte Skelette, die einen direkten Rückschluss auf Gesundheitszustand und Größe der Menschen geben. So müssen sich die Forscher häufig mit einem Oberschenkelknochen zufrieden geben, von dem sie nach unterschiedlichen wissenschaftlichen Schätzformeln auf die tatsächliche Größe des Mannes oder der Frau schließen können.
ANDREA SCHNEIDER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen