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Lang liegen und abfahren

Liegefahrräder sind nicht nur Vehikel für Velofreaks. Doch die Harleys unter den Drahteseln bleiben nicht zuletzt wegen der Anschaffungspreise ein Nischenprodukt. Wer Geld sparen will, schraubt sich einen Eigenbau zusammen

von CHRISTINE BERGER

Sie sitzen wie auf einem Sofa, lenken wie unsichtbar aus der Hüfte heraus und sind echte Hingucker im Straßenverkehr: Liegefahrradfahrer. Manchen erinnern die lang gestreckten Gefährte an Tretboote auf dem Trockenen, andere an Harley Davidson für Velophile. Ähnlich wie in der Harley-Szene gilt auch hier: je tiefer der Sitz, desto besser. Wer unter Fahrradfreaks etwas auf sich hält, bastelt viele Stunden an seinem Vehikel herum, um das Optimum zu kreieren.

Eine kleine Gruppe von rund zehn Liegefahrradfahrern trifft sich einmal im Monat im „Via Nova“, einer Kneipe in Friedrichshain. Dort wird gefachsimpelt und der Entwicklung neuer Ideen auf die Sprünge geholfen. Begriffe wie Umlenkrolle, Drehmomentstütze und Rohloffnabe sind klassische Gesprächsstoffe. Und mitunter ist einer so begeistert von seinem fahrbaren Untersatz, dass er es ins Internet stellt.

Özden Terli zum Beispiel kam vor ein paar Jahren auf die Idee, Liegefahrräder aus Kohlefaser zu bauen. Auf seiner Homepage gibt er Tipps für den Eigenbau, Geld verdienen will er damit nicht. „Für mich bleibt das ein Hobby“, meint der 30-jährige Student der Meteorologie. Wollte er ein selbst gebautes Rad verkaufen, kämen schnell 8.000 Mark Verkaufspreis zusammen. „Das wäre mir zu blöd, so viel Geld für ein Rad zu verlangen.“

Etwas anderes als die Fortbewegung im Liegen kann sich Terli gar nicht mehr vorstellen. Mehrmals in der Woche fährt er die rund 13 Kilometer zur Uni mit seinem Liegerad. „Manchmal kommen am Tag gut 70 Kilometer zusammen, wenn ich abends zum Beispiel noch nach Prenzelberg in die Kneipe fahre.“

Auf seiner längsten Tour fuhr er in gut sechs Wochen über 2.500 Kilometer ab, alles im Liegen. Auf die Idee, sich vom konventionellen Rad zu verabschieden, kam er aus einem simplen Grund: „Im Herbst fuhr ich immer gegen den Wind und dachte, dass es eigentlich viel sinnvoller ist, gestreckt zu fahren“, so der Tüftler. Kurz darauf machte er sich an seinen ersten Prototyp.

So wie Terli fangen die meisten Liegeradbegeisterten an, und nicht immer muss der Bau sehr teuer werden. Mancher baut sein erstes Rad aus alten Matratzenrahmen, Leiterteilen oder Kinderfahrrädern. Besonders die teuren Fahrradeinzelteile wie Ketten, Naben, Gangschaltung und anderes lassen sich gut aus alten Rädern recyceln.

Doch nicht nur Bastler stehen auf die gestreckte Tretkraft im Sattel. Längst kann man Liegefahrräder in verschiedenen Ausführungen von der Stange kaufen, und Fahrradläden wie Ostrad im Prenzlauer Berg oder Pedalpower in Lichtenberg und Kreuzberg haben solche Räder im Sortiment. Doch die Preise sind hoch, und nicht jeder ist bereit, zwischen 3.000 und 8.000 Mark für ein Fahrrad auszugeben. So auch Terli, der bei den Rädern von der Stange außerdem seine ganz individuellen Wünsche an Design und Funktion vernachlässigt sieht.

Barbara Schiller* hat sich dagegen gezwungenermaßen für ein Liegefahrrad entschieden. Vor fünf Jahren erkrankte sie an multipler Sklerose und kann seither kein konventionelles Fahrrad mehr treten. Ihr Liegedreirad hat rund 4.000 Mark gekostet, doch die sah sie besser angelegt als in einem Elektrorollstuhl. „Etwas Bequemeres gibt es gar nicht“, schwärmt sie und zieht ihren Gehstock aus dem „Kofferraum“.

Ohne Hilfe ist das Laufen auf zwei Beinen anstrengend, mit dem Liegefahrrad kommt sie im Moment besser klar. Hätte sie allerdings nicht eine Art Garage für ihr Gefährt, wäre für sie der Kauf nicht in Frage gekommen. „Gut wegschließen muss man das schon“, so Schiller. Unterwegs lässt sie daher ihren Lastesel nie lange aus den Augen.

„Gerade für Leute mit Rückenproblemen oder Übergewicht sind Liegefahrräder ideal“, meint Dan Ehle, Werkstattmeister bei Ostrad. Durch die gute Federung und eine bequeme Sitzlage seien gestreckte Modelle nicht nur für behinderte, sondern auch für ältere Menschen ideal. Gerade die kommen jedoch selten auf die Idee, ein solches Rad zu testen.

„Das ist den meisten Leuten einfach zu exotisch“, kommentiert Ehle den eher schleppenden Absatz. Unter rund 30 Millionen verkauften Fahrrädern pro Jahr seien in Deutschland gerade mal 2.000 Liegeräder.

Ganz anders dagegen in den Niederlanden: „Dort verkaufen sich Liegefahrräder mittlerweile besser als Rennräder“, weiß der Fahrradmechaniker.

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