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Weserburg überfüllt

■ Die erste Bremer Museumsnacht lockte am Samstag knapp 20.000 Menschen in die sieben Häuser

Mark Scheibe hat ab sofort keine Fans mehr. Der Nick Cave unter den Bremer Produzenten deutschsprachigen Liedguts ist unter die nun vollends ernst zu nehmenden Tonsetzer gegangen. Zur „Langen Nacht der Bremer Museen“ am Sonnabend hat Scheibe im Auftrag des Paula-Modersohn-Becker-Museums ein viersätziges Werk komponiert, das dem Spannungsfeld der historisch-kunsthandwerklichen Sammlung (Roselius-Haus) und der anbrechenden Moderne (Paula Modersohn-Becker) einen musikalischen Ausdruck geben sollte. Frech wie Satie, kühn wie Schönberg und geistreich wie Scheibe formte Scheibe ein Klangmaterial und fand in perfekt aufeinander eingehenden MusikerInnen der Deutschen Kammerphilharmonie kongeniale Interpreten. Fans sind eines Musikers, Sängers und Komponisten (!) wie Scheibe nicht mehr würdig. Einer wie er hat fortan nur noch Bewunderer. Und Bewunderinnen.

Aber nicht nur für und wegen Scheibe war die erste Bremer Museumsnacht in der Nacht auf Sonntag eine denkwürdige Nacht. Während die Spitzen von Bund und Ländern in Berlin einen Kompromiss zum Länderfinanzausgleich aushandelten, strömten einander wildfremde Menschen gemeinsam in die sieben beteiligten Bremer Museen. Sie erkundigten sich beieinander, wo in der Kunsthalle es die Brezeln zu kaufen gibt, und halfen einander beim (schweren) Filmquiz (Antwort 1: „Vertigo“, Antwort 2: „Peter O'Toole“, Antwort 3 ...). Sie bestaunten miteinander in der „60er-Jahre“-Ausstellung im Focke-Museum den Bremen-Werbefilm aus den 60ern, als die Stadt noch Länderfinanzausgleich an Bayern zahlte. Oder sie lachten miteinander über die Porno-Persiflagen in der überaus sehenswerten Sammlung Olbricht im Neuen Museum Weserburg.

Selbst dieses, unser Sammlermuseum auf dem Teerhof wurde förmlich überrannt. Von rund 1.000 BesucherInnen sprach gestern der freundliche Mann an der Kasse. Vermutlich waren es mehr. Möglicherweise waren es weniger. „Auf jeden Fall war das Haus voll“, sagte der Mann am Tag danach. Ähnliches verlautete auch aus den sechs anderen beteiligten Museen. Nach Angaben der Kunsthalle kamen knapp 20.000 BesucherInnen in die sieben Häuser.

Auch wenn in Museumsnächten anderenorts schon mehr Menschen gezählt wurden, erklärten die Bremer VeranstalterInnen die „Lange Nacht“ gestern zum „großen Erfolg“. Wann sonst strömen junge, mittelalte und ältere Menschen, von denen wohl die Hälfte seit Jahren nicht mehr im Museum war, in Scharen an zeitgenössischer Kunst oder an den kulturgeschichtlichen Ausstellungsstücken vorbei? Nur während einer Museumsnacht, die deshalb wie ein Stück von Yasmina Reza in Theaterstädten die Runde macht und nach Berlin, Frankfurt am Main, Köln oder Hannover erstmals in Bremen stattfand.

Mit Performances von Gudrun und Wolf Soujon, einer Auktion, Theater- und Musikaufführungen unter anderem von Peter Apels „Telstars“ oder einer Modenschau der Fachoberschule für Gestaltung hatten das Focke-Museum, das Gerhard-Marcks-Haus, das Wagenfeld-Haus oder das Paula-Modersohn-Becker-Museum die aufwändigsten Programme organisiert. Die Kunsthalle, die Weserburg und das Übersee-Museum boten vor allem Kurzführungen und kleinere außergewöhnliche Kulturhäppchen an, die dann auch in der liebenswerten Institution „Kultourbahn“ auf ihrem Rundkurs durch die Stadt serviert wurden. Während die Museen ganz gut auf den Besucherandrang eingestellt waren, hatten die OrganisatorInnen der „Blauen Stunde“ von Stadtgrün in den Wallanlagen offenbar mit einem eher beschaulichen Fest gerechnet. Nur wenige Buden standen für das hungrige und durstige Publikum zur Verfügung, kritisierten einzelne BesucherInnen. Mit einem Programm eher auf Low-Budget-Niveau, einfachen, aber sehr wirkungsvollen Wasser- und Lichtspielen sowie einem hoffentlich zur Dauereinrichtung werdendem Bootsverleih rundete die „Blaue Stunde“ die Museumsnacht dennoch ab. ck

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