piwik no script img

Glatzen, Baseball-Caps und Hitler-Scheitel

■ So viel Aufmerksamkeit haben sie nicht verdient: Gerade mal 130 NPDler marschierten durch Vegesack, begleitet von 1.500 Polizisten und hunderten Gegendemonstranten

Leichtathletikfest mit Gästen aus aller Welt, „Millionen-Segen“ beim Länderfinanzausgleich, Trubel auf den Wallanlagen und in den Museen, Skater auf dem Flughafen – eigentlich hätte das ein schöner Samstag für die Stadt werden können. Wäre da nicht der NPD-Aufmarsch in Bremen-Nord gewesen, der allerdings noch einen netten Event zur Folge hatte: „Rock gegen Rechts“ in Vegesack.

36 Vereine hatten sich zusammengetan, vielleicht 200 Menschen waren zur Bühne in die Sa-gerstraße gekommen, um Flagge gegen die rechte Brut zu zeigen, die fast gleichzeitig wenige hundert Meter entfernt marschierte. „Damit klar wird, dass die NPD hier nichts zu suchen hat“, sagte Helmut Rattai vom DGB. „Wir fordern die Gerichte auf, diesem Treiben ein Ende zu machen“, ärgerte sich Ortsamtschef Reiner Kammeyer, während Stargast Marieluise Beck (Grüne) betonte, „es gebe schon genug national befreite Zonen in Deutschland“. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung: „Vegesack ist offen für alle!“

Eigentlich verdienten sie den ganzen Trubel nicht: 130 Irre hätten ihren inneren Reichsparteitag feieren können angesichts von so viel Aufmerksamkeit. Hunderte Gegendemonstranten, 1.500 Polizisten – und nicht zuletzt die Presse (auch die taz) waren da, um über das versprengte Grüppchen meist 15 bis 20-Jähriger aus Bremen und umzu zu berichten. Wir sind der Meinung: berichten muss. Schließlich war dies nach dem März bereits die zweite NPD-Demo in diesem Jahr in Vegesack.

Baseball-Caps, Glatzen, Sonnenbrillen, Hitler-Scheitel – so sieht das Häufchen Elend aus, das sich um 11 Uhr auf dem Aumunder Marktplatz versammelt hat. Es ist ein groteskes Szenario: Um den NPDlern ihr per Grundgesetz verbrieftes Demonstrationsrecht zu schützen, haben Polizei und BGS alles hermetisch abgeriegelt. Die Zufahrtsstraßen sind gesperrt, Gleise werden überprüft, auf dem Baustoffhandel am Demo-Weg treiben sich Beamte rum, damit Gegendemonstranten keine Steine auf die Tumben werfen. Allein die 600 zusätzlich angeforderten Demo-“Schützer“ aus anderen Bundesländer kosten Bremen einen halbe Million Mark. Dabei kreisen anfangs 20 Polizei-Transporter samt Besatzung gerade mal 40 mürrische Rechte ein, die pünktlich gekommen sind. Die coolen Chefs trudeln eine halbe Stunde zu spät im Auto-Konvoi auf ihrer eigenen Demo ein: NPD-Führer aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Bremen samt Lautsprecher-Wagen bringen Reichs-Flaggen und Transparente mit – der Zug der Hirnlosen darf beginnen.

Links und rechts, vorne und hinten vom einem gigantischen Polizeiaufgebot sauber eingepackt wie ein Stück A-A schieben sich die Kahlköpfe durch die Wohnblöcke. „Boah ej: Wasserwerfer!“ ruft ein kleiner, „Früher hatten sie wenigstens keine Megaphone“ stöhnt ein alter Vegesacker, als sich die NPD durch die Straßen windet. Im Tross der Doofen keimt höchstens Trotz.

Fassungslosigkeit bei den Anwohnern, Mittelfinger und Fratzen aus dem Haus des deutsch-türkischen Kulturvereins, „Nazis raus“- und „Ihr habt kurze Geschlechtsteile“-Rufe sind zu hören. Ein paar Wurfgeschosse verfehlen ihr Ziel, „scheiß NPD“ sagt der designierte Innenstaatsrat Kuno Böse (CDU), der den Marsch begleitet. Etwa100 Autonome versuchen zu stören, 22 Personen werden in Gewahrsam genommen, 55 Platzverweise erteilt. „Die Demonstration verlief weitgehend störungsfrei“, heißt es nachher im Polizei-Bulletin.

Drei Stunden dauert der Spuk. Und als das faschistoide Trüppchen um 14 Uhr abzieht, hat selbst Petrus ein Einsehen: Zum ersten Mal zeigt sich die Sonne, Bremens schöner Tag kann endlich beginnen. ksc

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen