: Sepp Herberger trainiert für Hollywood
Der Deutsche Filmpreis 2001 ging mit wärmenden Worten aus der Politik auf die Suche nach neuen Märkten
Für einen einzigen kurzen Moment wirkte alles klar, vernünftig und wichtig. Mit Wittgenstein gesprochen war die Welt ein logischer Raum mit einer Tatsache namens Maggie Cheung im Zentrum. Auf der Leinwand sah man Ausschnitte aus Wong Kar-weis „In the mood for love“, durch die Staatsoper flutete unwirklich der Filmwalzer, und Frau Cheung nahm stellvertretend für ihren Regisseur den Preis für die beste ausländische Produktion entgegen. Ein paar Sekunden schwebte plötzlich die peinliche Erkenntnis im Raum, dass nationale Inzestveranstaltungen wie die Verleihung des Deutschen Filmpreises nur funktionieren, wenn man zwei Stunden lang verdrängt, was transnationales Kino eben auch noch bedeuten kann.
Dann war's aber auch schon vorbei mit dem Traum. Auf der Bühne erschien wieder die Pro7-Moderatorin Susann Atwell („Deutschland ehrt die Bestleistungen seines Kinos“), Vanessa Mae griff zur Glasgeige und Hannelore Elsner übergab mit einem Gedicht („möge mein Herz kleinen Vögeln offen stehen“) den Preis der besten Darstellerin an Kathrin Saß. Mit ihrer Rolle in Michael Kliers „Heidi M.“ hatte sich Frau Saß den goldenen Serviettenhalter, der jetzt Lola heißt, ja auch verdient und schwenkte ihn später, beim Verlassen der Staatsoper, wie eine Olympiasiegerin. Das sympathischste Glückszeichen war allerdings die aufgeregt glänzende Glatze des Produzenten Florian Koerner von Gustorf, als ganz am Schluss nicht das dumpfbackige „Experiment“, sondern Christian Petzolds Film „Die innere Sicherheit“ das Goldene Filmband bekam.
Überhaupt konnte keiner meckern beim diesjährigen „Wer wird Millionär?“ der deutschen Filmbranche. Geldbote und Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, dieser Ausbund an Uncharmanz, ging wunderbarerweise völlig unter im irrealen Ambiente aus Showacts und Mini-Reden, die alle mit „Billy Wilder hat mal gesagt ...“, „Brecht hat mal gesagt ...“ oder „Sepp Herberger hat mal gesagt ...“ anfingen. Auch der Redenschreiber des Bundeskanzlers zitierte Wilder, und da Gerhard Schröder in Sachen Rhetorik nicht gerade das Schießpulver erfunden hat, entstand bei seiner tapfer filmpolitisch gehaltenen Verlautbarung ein interessanter Verfremdungseffekt. Es war ein unbestimmtes, jeglicher Subjektivität enthobenes, irgendwie schizoid durch den Raum flottierendes „es“, das da von der Anziehungskraft des deutschen Filmplaneten sprach, von einem Regisseur namens Rainer Maria Fassbinder, von erfolgsorientierter Filmförderung und vom mangelnden Engagement der privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehsender: „22 Millionen Mark im Jahr? Also ich find', das ist zu wenig, meine Damen und Herren.“
Vielleicht lässt es sich bei einer Filmindustrie, die schon so lange nur auf ihrem Binnenmarkt funktioniert, nicht vermeiden, dass eine Repräsentationsveranstaltung wie der Filmpreis von einem leicht beleidigten Unterton durchzogen ist: „Seht her, wie toll wir sind, aber leider merkt es im Ausland keiner!“ Da musste sich sogar der durchaus kosmopolitisch denkende neue Berlinale-Leiter Dieter Kosslick von der bedrohlich dauerlächelnden Susann Atwell zur Wunderwaffe einer bald wieder national voranpreschenden Filmpolitik erklären lassen. Und plötzlich erstrahlte sie über dem Staatsopernhorizont, die Veranstaltung, die alles wieder gut machen wird, „die Berlinale, ein Festival in Deutschland. Eines, bei dem Deutsch bald wieder erste Fremdsprache sein wird.“ Da sei Gott vor. Und Kosslick auch.
KATJA NICODEMUS
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