: Wettbewerb um den fittesten Punk-Gevatter
■ Gitarrenlastigkeit, zu dichte Bühnen und zu Fall gekommene Dixi-Klos: Das Scheeßeler „Hurricane“ erfüllte wieder die üblichen Festival-Spezifika – und war besser als letztes Jahr
In der Tat war im letzten Jahr das Programm des Hurricane-Festivals wie das Wetter eher unattraktiv, weshalb sich deutlich weniger Leute dort herumtrieben. Das muss nicht unangenehm sein, vor allem angesichts der sanitären Einrichtungen, die bei derlei Veranstaltungen nicht selten grenzwertig sind.
Die kleinen Häuschen mit dem lustigen Namen Dixi laden auch im sauberen Zustand nicht eben zum Verweilen ein. Wenn sie von FestivalbesucherInnen bestürmt werden, noch viel weniger, zumal sie auch Einblicke in die Ernährungsweise gestatten, die man auch ohne Betrachtung der ungesunden Farben der Festival-Saison hätte gewinnen können.
Um nichts geht es weniger als um gutes Essen und erholsames Schlafen in lauschigem Ambiente. Und sogar mit dem Musikhören ist das so eine Sache. „Drei Bands auf einem Festival zu sehn ist schon die obere Schmerzgrenze“, meinte ein Besucher zum Thema. Und er dürfte nicht der einzige gewesen sein, dem anderes als die Bands zur Priorität gerieten. Dabei gab es natürlich auch in diesem Jahr eine ganze Reihe guter Gründe, wegen der Musik nach Scheeßel zu fahren.
Nicht wenige hielten die Toten Hosen für einen, die sich, nachdem sie dem unlängst gestorbenen Joey Ramone mit dem „Blitzkrieg Bop“ Tribut gezollt hatten, am Samstag Abend durch ihr an Hits nicht eben armes Programm spielten, während Campino im Wettbewerb um den fittesten Punk-Gevatter schonmal Punkte gegen Iggy Pop sammelte.
Außerdem gab er sich weit leutseliger als jener, wurde nicht müde, an den Gemeinschaftssinn zu appellieren. Die Leute sollten aufeinander aufpassen und immer die von der Bühne gereichten Getränkespenden nach einem Schluck weitergeben. „Zieht das Ding zusammen durch, dann wird das auch was“, lautete Campinos Parole.
Neben den Hosen und dem erwähnten Iggy Pop, der sich über TV- und Video-Stars echauffierte – obwohl er selbst umherstolzierte wie ein Pfau und seine großen Hits von einer mittelmäßigen Band runterrocken ließ – gab es auch die phantastischen Fantômas zu bestaunen, die ihr aberwitziges Mosaik aus Japan-Noise, Filmmusik, Grindcore und Slayer-Riffs abfackelten. Oder die Weakerthans, die auf der Zeltbühne eine bezaubernd intime Musizierstunde einlegten. Oder die Queens Of The Stone Age, die nonchalant wüsten Rock mit Improvsationsanteilen und einem nackichten Nick Oliveri am Bass kredenzten.
Oder die lange vermissten Weezer mit ihren makellosen Pop-Songs, die nach Angaben von Gitarrist Brian nur verbergen sollen, was für durchgedrehte Typen sie eigentlich seien. Oder Tool, ebenfalls nach langer Zeit mit neuer Platte zurück, die ihre komplizierte Rockmusik in eindringlicher Manier vorführten. Oder die Fünf Sterne Deluxe und Jan Delay, die im sonst sehr gitarrenlastigen Programm äußerst unterhaltsame Akzente in HipHop bzw. Reggae setzten.
Und als am Sonntag um die Mittagszeit Jimmy Eat World spielten, die Sonne endgültig gewonnen hatte, das erste Bier und die erste Zigarette den verkaterten Körper wieder an seine temporäre Bestimmung zum Objekt von unvernünftigem Spaß erinnerte, war der Geruch zu Fall gekommener Dixi-Klos ebenso vergessen, wie die Zeltnachbarn, die nächtens „Bommerlunder“ sangen und morgens mit „Hoch auf dem gelben Wagen“ einen adäquaten Einstieg fanden.
Trotz einiger bedauerlicher Absagen, wie der von J Mascis & The Fog oder Everlast war das Hurricane 2001 eine gelungene Sache mit den Eingangs erwähnten, wohl fast unvermeidlichen Mängeln sowie dem Hurricane-eigenen Manko, dass die beiden Bühnen so dicht beieinander liegen, dass sich bei den Überschneidungen im Programm nicht selten auch Überschneidungen im Klang ergeben, wie zum Beispel beim Auftritt von Fantômas in den leisen Passagen bereits die satten Gitarren von Weezer zu hören waren.
Andreas Schnell
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen