: Folter: Die Angst hört niemals auf
■ Internationaler Tag der Unterstützung von Folteropfern: In Bremen kümmert sich das psychosoziale Zentrum „Refugio“ um Traumata und deren Therapie
Sein Herz ist gesund. Das belegen auch EKG und Ultraschall-Untersuchungen, die ausnahmslos beruhigende Befunde liefern. „Aber der Schmerz sitzt hier“, sagt Herr P. und zeigt auf seine Brust. Darin sitzt die Angst. Die ständige Angst, wegen der sein Puls manchmal mit 139 Schlägen in der Minute dahinrast. Und wegen der der Mittvierziger keinen Moment mehr allein bleiben kann.
Heute ist der Internationale Tag der Unterstützung von Folteropfern. Aus diesem Anlass will in Bremen das psychosoziale Behandlungszentrum für ausländische Flüchtlinge und Folteropfer „Refugio“ auf die gesundheitliche Situation ausländischer Flüchtlinge aufmerksam machen.
Auf Menschen wie Herrn P., der nicht möchte, dass mehr über ihn bekannt wird als ein einziger Buchstabe. Aus Angst man könnte ihn wiedererkennen. Auch wenn Bremen hunderte von Kilometern von Bosnien entfernt liegt und ihm hier „keiner was Schlimmes angetan hat“. Die Erinnerungen an seine Qualen hören niemals auf.
Jetzt sitzt Herr P. im Büro von Refugio und erzählt. Langsam und stockend. Sein Schicksal presst er in kurze Sätze. Ringt manchmal nach Atem. Spricht aber weiter, will es loswerden, nicht dass „die Tragödie nur in mir drin bleibt“.
Die Tragödie, das ist für P. der Krieg in Bosnien, der langjährige Freunde zu Feinden und Verfolgern machte. Weil er zur falschen Religion gehörte, einen muslimischen Namen hat. Da ist die Flucht, auf der er vor allem Leichen traf, Folterungen sah und zehn Kilo in nur wenigen Tagen abgenommen hatte – „nicht weil es nichts zu essen gab, aber ich konnte nur Wasser trinken und Zigaretten rauchen.“
Eine Posttraumatische Belastungsstörung ist es, die P. auch neun Jahre später immer noch quält, seinen Puls hoch schlagen lässt und grausame Erinnerungen immer wieder ins Jetzt katapultiert. Er nimmt Medikamente. Seit knapp zwei Jahren ist P. auch in psychotherapeutischer Behandlung bei Refugio. Ein bisschen, sagt er, ginge es ihm jetzt besser, gebe es wieder eine Perspektive.
Die Refugio-MitarbeiterInnen kennen viele solcher Schicksale, erklärt dort die Koordinatorin Doris Ngwu. Rund 180 bis 200 Menschen kommen jährlich neu in die Behandlung, die mindestens zwei bis vier Jahre dauert. Derzeit kümmert sich das psychosoziale Behandlungszentrum – das einzige in Niedersachsen und Bremen – allein um 260 Folteropfer.
Mit derart vielen Patienten platzt Refugio inzwischen fast aus allen Nähten. „Wir brauchen dringend neue Räumlichkeiten, mehr Unterstützung von niedergelassenen Therapeuten, um das bewältigen zu können“, meint Ngwu. Die Therapien sind für die Flüchtlinge kos-tenlos, finanziert werde alles vom Bremer Senat, der Bremischen Evangelischen Kirche, der Uno-Flüchtlingshilfe, der EU und ein paar Spendengeldern.
Dass Menschen wie Herr P. überhaupt erst so spät zu Refugio kommen, ist kein Zufall. Er gehört zur ersten Welle von Flüchtlingen aus Bosnien. Deren Traumata so lange versteckt blieben, bis sie abgeschoben werden sollten in das Land ihrer Qualen. „In dem Moment bricht auf einmal alles aus ihnen heraus“, weiß Ngwu: „Die unklare Aufenthaltsgenehmigung wird zur enorm hohen Belastung.“
Auch für die Therapeuten. Denn erst, wenn der Aufenthaltsstatus gesichert ist, können sich die Folteropfer intensiver auf ihre Therapie einlassen. Bei Herrn P. zum Beispiel wurde erst Anfang dieses Jahres seine Aufenthaltsbefugnis um zwei Jahre verlängert. Seine Posttraumatische Belastungsstörung wurde nach der neuen Bleiberechtsregelung vom November anerkannt. „Dann platzt bei den meis-ten ein Knoten“, erklärt Ngwu. Denn mit der Aufenthaltsgenehmigung werde auch ihre Krankheit endlich anerkannt.
Zwei Jahre sind Herrn P. auf jeden Fall hier noch sicher. Was dann kommt, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Er selbst sagt: „Ich möchte ehrlich bis an mein Lebensende hier bleiben.“ pipe
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