: Baumrinde ist die billigste Medizin
Neue Wege gegen Aids in Afrika: In Kenia behandelt der Naturheilkundler Frederick Olum erfolgreich Infektionen bei Aidskranken und gibt Ratschläge für kräftigende Ernährung. Das heilt die Patienten nicht, verlängert aber ihr Leben
aus Nairobi ILONA EVELEENS
Begeistert läuft Frederick Olum durch die Savanne des Maasailandes in Südkenia. Immer wieder bückt er sich, pflückt Pflanzen und wühlt in der Erde umher. Der Kräuterheiler liebt diese Gegend, die noch so aussieht wie vor hundert Jahren. „Es gibt hier so viele heilsame Pflanzen und Wurzeln. Es ist ein Paradies für Herbalisten, und ich glaube, dass es eine Goldmine ist für eine alternative Pharmaindustrie.“
Frederick Olum ist einer der renommiertesten Herbalisten in Kenia. Der leise sprechende Fünfziger mit den schwarz-grauen Haaren hat die Geheimnisse seines Berufes von seiner Großmutter gelernt. Auch sie war Kräuterheilerin. Als kleines Kind schon wurde Frederick Olum bei der Suche nach heilsamer Naturmedizin mitgeschleppt. Seitdem hat er noch viel dazugelernt. Mehr als 800 Naturmedikamente hat er ordentlich in Schulheften katalogisiert: Aloe Vera stärkt das Immunsystem, Rinde von Ebenholzbäumen hat dieselbe Wirkung wie Antibiotika.
Frederick Olum enthüllt aber nur wenig von seinen Geheimnissen. „Herbalisten in Afrika haben Angst, die Zusamenstellungen ihrer Medizin zu veröffentlichen“, erklärt er. „Große Pharmakonzerne könnten unsere Kenntnisse klauen, ohne uns dafür zu bezahlen. Wir haben kein Geld, um unsere Medikamenten patentieren zu lassen.“
Kräutermedizin wurde vor ein paar Jahren noch von vielen Kenianern als altmodisch und minderwertig betrachtet. Nur westliche moderne Medizin galt als gut. Aber seit bekannt ist, dass 20 Prozent der erwachsenen Kenianer mit HIV/Aids infiziert sind, hat sich das geändert. Die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze und kann sich die teuren Medikamente aus dem Ausland nicht leisten. Nur die Reichen haben eine Krankenversicherung. Billige Medizin ist notwendig, und Kräuterheiler verschaffen diese Alternative, die noch viel preiswerter ist als der Import billiger Generika.
Ärzte in Kenia haben ausgerechnet, dass die medizinische Versorgung eines HIV-Patienten für den Rest seines Leben mit westlichen Importmedikamenten ungefähr 300.000 Mark kostet. Die Behandlung mit Naturheilmitteln kostet laut Frederick Olum nicht mehr als 2.000 Mark.
Frederick Olum geht zweimal in der Woche ins Armenviertel Kayole außerhalb der Hauptstadt Nairobi. Dort berät er Aidskranke. „Neben Medikamenten ist es auch wichtig, dass Infizierte richtig essen und gesund leben“, sagt er. „Ich gebe Informationen über billiges, aber vitamin- und eisenreiches Gemüse. Ein gesundes Leben ist die Basis, um diesen Menschen ein längeres Leben zu bieten.“
Durchschnittlich leben Kenianer, die HIV-positiv sind, noch ungefähr drei Jahre. Aber einige Patienten von Frederick Olum sind schon vor viel längerer Zeit infiziert worden. Hilde Awor bekam vor acht Jahren die Nachricht, dass sie HIV-positiv ist. Die große, stark aussehende Frau mit modischer Brille erzählt: „Mein Arbeitgeber, der uns verpflichtete, den Test zu machen, hat mich auf der Stelle gefeuert. Seitdem besuche ich Schulen und Arbeitsplätze, um Menschen über Aids aufzuklären. Es ist wichtig, offen darüber zu sprechen. Viele meiner Zuhörer glauben nicht, dass ich infiziert bin. Ich sehe zu gesund aus. Das freut mich, aber es macht die Arbeit schwerer.“
Hilde Awor hat ab und zu Infektionen, die Frederick Olum behandelt. Gegen vaginale Infektionen hilft Joghurt. Knoblauch hat ihre Brustbeschwerden beseitigt, ein Lotion von Buschkräutern hat Herpes auf ihrem Gesicht innerhalb einer Woche geheilt. Um die Kräutermedizin erfolgreicher zu gestalten, wäre Forschung nötig. Die Regierung hat dafür kein Geld. Die Finanzen des Instituts für Forstwirtschaft, wo Frederick Olum und zwei andere Herbalisten arbeiten, reichen nur zum Kauf von zwei Büchern über Pflanzen. Ein Computer kommt überhaupt nicht in Frage.
„Ich fühle mich wie ein drittklassiger Weltbürger“, meint Hilde Awor. „In Europa und Amerika ist HIV/Aids dank intensiver Forschung eine Krankheit geworden, deren Patienten gepflegt werden. In Afrika ist die Infektion ein schneller Killer. Es ist mir egal, dass wir Naturmedizin benützen müssen, aber kann der Westen uns nicht wenigstens helfen, um die Forschung vorzunehmen?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen