: Fast immer deutsche Täter
Gewerkschaft der Polizei ließ Angriffe auf Beamte untersuchen. Ergebnis: Der Dienst in bürgerlichen Vierteln ist gefährlicher als in Problembezirken. Insgesamt hat sich das „Tötungsrisiko“ verringert
von OTTO DIEDERICHS
Das Drama beginnt als Routineeinsatz. Gegen zehn Uhr fällt einer Polizeistreife ein nicht angeschnallter Autofahrer auf. Die Beamten folgen und stoppen ihn. Als der Beamte Thomas Goretzki aussteigt, fallen Schüsse. Drei treffen ihn, er ist sofort tot. Der Schütze rast davon.
Wenig später hält er neben einem anderen Streifenwagen und wieder fallen Schüsse. Die PolizistInnen Yvonne Hachtkemper und Matthias Larisch-von-Woitowitz sterben kurz darauf im Krankenhaus an Kopfschüssen. So geschehen am 14. Juni vergangenen Jahres in Dortmund.
Bereits im Januar 2000 war ein Beamter bei einer Radarkontrolle bei Bad Hersfeld erschossen worden. Einen Monat später wurde in Remscheid eine Polizistin unvermittelt angegriffen und erstochen.
Insgesamt wurden im letzten Jahr acht PolizistInnen während des Dienstes von Straftätern getötet. Seit 1945 waren es damit knapp über 380, sagt Wolfgang Dicke von der Gewerkschaft der Polizei (GdP).
Wie in solchen Fällen üblich, wurden nach den Schüssen von Dortmund sogleich Rufe laut, Angriffe auf PolizistInnen künftig härter zu bestrafen. Einen speziellen Paragrafen für Polizistenmord gibt es im deutschen Strafrecht jedoch nicht. Ob es sich bei einem Opfer um ein Kind, einen Maurer, eine Sekretärin oder einen Polizisten handelt, ist zu Recht gleichgültig.
Um zu klären, wie PolizeibeamtInnen künftig besser geschützt werden können, ging die Gewerkschaft der Polizei im Sommer 2000 einen ungewöhnlichen Weg. Wenige Wochen nach dem Drama im Ruhrgebiet schloss sie mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) einen Forschungsvertrag, um Polizistenmorde in Deutschland und typische Gefahrensituationen zu untersuchen, Täterprofile zu erstellen und Empfehlungen für mehr Sicherheit zu geben. Die Ergebnisse sollen in die Ausbildung einfließen. An der Finanzierung beteiligte sich auch die Innenministerkonferenz. Nun liegt das erste Zwischenergebnis vor.
Ausgewertet wurden rund 4.000 Fälle von Angriffen auf PolizeibeamtInnen aus den Jahren 1985 bis 2000. Dass die Gefahr, mit Tötungsabsicht angegriffen zu werden, für PolizistInnen erheblich höher ist als für Normalbürger, ist kaum überraschend. Zugleich ist ihr Risiko, dabei tatsächlich getötet zu werden, aber statistisch geringer als das eines Bürgers. So kam im Durchschnitt jeder dreizehnte angegriffene Polizeibeamte ums Leben. Bei „Normalbürgern“ hingegen starb jeder dritte.
Trotz bestehender Ausbildungs- und Ausrüstungsmängel sind PolizistInnen also in der Lage, sich auch in überraschenden Situationen erfolgreich zu verteidigen, bestätigt auch GdP-Mann Wolfgang Dicke.
Das größte Risiko, angegriffen zu werden, tragen der Studie zufolge nicht etwa Sondereinsatzbeamte, die gezielt gegen Gewalttäter und Schwerkriminelle eingesetzt werden, sondern die Funkstreifenbesatzungen. Hier entwickeln sich Angriffe mit Tötungsvorsatz überwiegend bei Fahrzeugkontrollen oder beim Ansprechen einer Person, der Überprüfung ihrer Identität oder der Verfolgung von Verdächtigen. Wie die Studie weiter ergab, sind die Angreifer fast immer deutsche Männer mittleren Alters. In der Hälfte aller vom KFN untersuchten Fälle waren sie mit Schusswaffen ausgerüstet und nur selten alkoholisiert.
In jenen Fällen, bei denen Polizisten nicht mit Tötungsabsicht attackiert wurden, fanden die Angriffe in erster Linie bei Dunkelheit im öffentlichen Raum statt. Überraschend ist, dass sie nicht in Problembezirken, sondern in eher bürgerlichen Vierteln stattfanden, die zuvor als ungefährlich galten. Auch hier handelt es sich zu 75 Prozent um Deutsche, sind die Täter fast immer männlich und meistens betrunken.
Die meisten Angriffe mit Tötungsabsicht gab es zwischen 1985 und 1994, danach sanken die Zahlen wieder. „Das Tötungsrisiko hat sich in den Neunzigerjahren gegenüber den Achtzigerjahren deutlich verringert“, so der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Sachsen-Anhalts Innenminister Manfred Püchel (SPD). GdP-Mann Dicke hat besonders überrascht, dass zwischen Tötungsabsicht und -erfolg „keine Parallelität zu erkennen ist“. So kamen 1994 bei insgesamt 82 Tötungsangriffen zwei Polizisten ums Leben. 1998 starb bei 33 Angriffen ein Beamter, im Jahre 2000 bei 35 Attacken wurden jedoch 8 getötet. „Die Situation hat immer auch mit Zufällen zu tun“, sagt Dicke.
Dass PolizistInnen die Ausrüstung mit Schutzwesten fordern, erscheint da legitim. Vernünftig ist auch, die Studienergebnisse in die Ausbildung einfließen zu lassen. Aber als Argumentation für die Einführung von Deformationsgeschossen mit „Mann-Stopp-Wirkung“ hat die Gefährdung von PolizistInnen durch Straftäter nun jedoch ausgedient. BeamtInnen, die von einem Angriff völlig überrascht werden, nützt auch diese Munition nichts. Und auch die gern bemühte Mär von den besonders gewaltbereiten Ausländern bricht mit dieser Studie in sich zusammen.
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