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Hausputz in Dresden

Die CDU unterliegt in der Landeshauptstadt. Jetzt ist Ministerpräsident Biedenkopf endgültig zum Abschuss freigegeben

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

Viele jüngere oder bürgerbewegte Dresdener feierten den Wahlsieg ihres Kandidaten wie eine Erlösung. Nicht nur, dass ein Knäuel aus jubelnden Menschen die Zugänge zum Rathaus verstopfte. Vor dem Wahlkampfbüro des künftigen Oberbürgermeisters Ingolf Roßberg (FDP) musste die Polizei für die Siegesparty sogar einen ganzen Straßenzug sperren. „Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine“: Mit einem Lied von Brecht und Eissler feierte die ungewöhnliche Koalition aus SPD, PDS, FDP und Bündnisgrünen ihren Erfolg gegen die scheinbar übermächtige Union. Dem unterlegenen Amtsinhaber Herbert Wagner (CDU) blieb nur noch, seinem Nachfolger eine glückliche Hand zu wünschen.

Das Dresdner Signal wird flankiert von weiteren Verlusten für die CDU in Sachsen. Im Kreis Leipziger Land stellt die SPD mit Petra Köpping erstmals eine Landrätin. Auch die Kreise Freiberg und Annaberg, wo sich im zweiten Wahlgang Bewerber unabhängiger Wählerinitiativen durchsetzten, gingen der CDU verloren. Von den sieben kreisfreien Städten ist jetzt nur noch Zwickau in den Händen der Union. In Hoyerswerda wurde der PDS-Amtsinhaber Horst-Dieter Brähmig als Oberbürgermeister bestätigt. Sachsen sei in Bewegung gekommen, frohlockte SPD-Fraktionschef Thomas Jurk.

Einen Zusammenhang mit den Affären von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) und der Dauerregierungskrise stritt der geschasste Finanzminister Milbradt (CDU) am Wahlabend zwar ab. Doch der SPD-Abgeordnete Karl Nolle, der sich in der Affäre als Aufklärer profiliert hatte, stellte ihn umso deutlicher her.

Mit dem zweiten Wahlgang endet auch das CDU-interne Stillhalteabkommen im Kampf um den Parteivorsitz, der als Startposition für die Biedenkopf-Nachfolge gilt. Ein Beschluss des Landesvorstandes hatte das Verfahren an die Parteibasis verwiesen und Biedenkopfs Einfluss damit weiter begrenzt. Am 15. September soll ein Sonderparteitag über die Personalie entscheiden. Als integrationsfähigster Kandidat wird Umwelt- und Landwirtschaftsminister Steffen Flath genannt.

Bei der Oberbürgermeisterwahl in Dresden konnte Wahlsieger Roßberg mit 47 Prozent sein Ergebnis aus dem ersten Wahlgang halten. Der letzte SED-Rathauschef Wolfgang Berghofer, der überraschend erst im zweiten Wahlgang angetreten war, kam auf 12,2 Prozent. Er nahm vor allem dem CDU-Amtsinhaber Wagner Stimmen weg, der nur noch 40 Prozent erreichte. Wie vor zwei Wochen gab nur jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme ab.

Am Wahlabend beklagte sich Roßberg noch einmal über Angriffe der CDU „weit unter die Gürtellinie“. Ministerpräsident Biedenkopf hatte den gebürtigen Dresdener, der im letzten Jahr nach Nordrhein-Westfalen gegangen war, als „Schrott aus Wuppertal“ bezeichnet. Biedenkopf hatte sogar durchblicken lassen, bei einem Sieg Roßbergs drohten Großinvestitionen in der Landeshauptstadt zu scheitern.

Auch die Überraschungskandidatur des Biedenkopf-Freundes Berghofer galt als Schachzug, um im zweiten Wahlgang Stimmen von Roßberg abzuziehen. Doch der Kandidat, der im ersten Durchgang nicht angetreten war, lief ins Leere. Bei einer Diskussion der Bürgermeisterkandidaten wurde er von den Zuhörern überwiegend ausgelacht. Schon am Samstag packte er in Dresden wieder seine Koffer.

Wahlsieger Roßberg blieb auch nach dem Sieg dem Grundsatz treu, den er im Wahlkampf praktiziert hatte: „Zusammenführen statt spalten“. Der CDU-Fraktion bot er eine konstruktive Zusammenarbeit an. Im Stadtrat gibt es weiterhin eine Mehrheit von CDU, DSU und örtlicher FDP, die das Parteimitglied Roßberg bei seiner Kandidatur nicht unterstützt hatte.

Schon am Wahlabend gab es allerdings Gerüchte, die auf Überläufer aus dem FDP-Lager hindeuteten. Erste Signale aus der CDU-Fraktion wiesen hingegen auf eine Strategie des Einigelns und der Blockade.

Roßberg betonte, es habe über die Verteilung der Dezernentenposten keinerlei Absprachen mit den Parteien gegeben, die seine Kandidatur unterstützt hatten. Klar scheint lediglich, dass es ein neues Amt für mehr Bürgerbeteiligung geben soll. An seinem ersten Amtstag, versprach Roßberg, werde er im Rathaus alle Fenster aufreißen und kräftig lüften lassen.

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