modernes antiquariat: In seinem Roman „Das steinerne Herz“ nahm Arno Schmidt die DDR ernst
Reise durch die Interzone
Vor dem Boom war auch schon Boom: Wir stellen in unregelmäßigen Abständen Berlin-Romane vor, die vor 1989 erschienen sind.
Wer sich Mitte der Fünfzigerjahre Berlin als Roman-Schauplatz auswählte, der tat dies nicht von ungefähr, der nutzte die brisante Topographie bewusst für ein politisches Statement zur Lage der Nationen. So auch Arno Schmidt in „Das steinerne Herz“. Doch, doch, jener Schmidt, der so gern als „Wortmetz aus der Haide“, als kauziger Avantgardist und eskapistischer Büchermensch abgetan wird, war ein politischer Autor, nicht nur in seinem Frühwerk, aber doch wohl vor allem hier.
Hauptsächlich spielt „Das steinerne Herz“ in Ahlden bei Hannover. Schmidts Alter Ego, der Ich-Erzähler Walter Eggers, ein manischer Heimathistoriker („nur durch die dünne Nabelschnur der Staatshandbücher hing die Welt noch an mir“), schleicht sich bei den Thumanns ein, weil er Ehefrau Frieda im Besitz von wichtigen historischen Dokumenten wähnt. Die beiden verlieben sich und leben ihr Liebesglück in vollen Zügen aus. Schließlich hat Fernfahrer Karl Thumann schon länger eine Geliebte in Ostberlin.
Man einigt sich auf eine friedliche Koexistenz, und Karl beschließt, seine Line ins Haus zu holen. Eggers findet dann auch noch einen Goldschatz, der beiden Liebespaaren das zukünftige Auskommen sichert – und spätestens hier geht Schmidts Passion für romantische Literatur mit ihm durch . . .
Das Herzstück des Romans indessen bildet die in der „Bargfelder Ausgabe“ gut fünfzigseitige Berlinreise von Eggers und Thumann, die in den West- wie in den Ostteil Berlins führt. Scharfsichtig und detailverliebt nimmt Schmidt den Alltag hüben wie drüben in Augenschein, woran sich dann allemal hübsche Vergleiche der beiden konkurrierenden Systeme anschließen lassen: „Auch weniger russische Soldaten eigentlich als bei uns Amis oder Franzosen; hm hm.“ Etwas später dann: „Also mir soll noch einer mit der ‚Notlage Berlins‘ kommen!! ‚Schnaps!‘: Die Hausfrauen fahren rüber und erstehen für 18 Pfennig West ihr tägliches Dreipfundbrot: ‚Die Ostzone wird ausgekauft: ich gehe jeden Tag rüber speisen!‘ Und dann spotten unsere Sender noch hinterhältig drüber, daß die wirtschaftliche Schwierigkeiten haben?: doll!“
Freilich, Kulturlosigkeit und Unvernunft regieren hier wie dort, das war bei Schmidt nicht anders zu erwarten – aber wie nur wenige Schriftsteller seiner Zeit nimmt er die DDR als Staat ernst, schätzt sie sogar als ideologisches Korrektiv zur unheiligen Verbindung von Bigotterie und Restauration im Westen Deutschlands.
Dieser Interzonen-Roman, den nicht zuletzt wegen der Sottisen gegen Adenauer zunächst kein Verlag haben wollte und der schließlich nur auf Alfred Anderschs engagierter Vermittlung hin und auch nur in zensierter Fassung erschien (erst die „Bargfelder Ausgabe“ restauriert 1986 das Original), nimmt eine besondere Stellung ein im Werk Arno Schmidts. In später nicht wieder erreichter Homogenität gelingt Schmidt hier eine Synthese aus politischer Aufmüpfigkeit gegen den rechtskonservativen Konsens und einer Kunstfertigkeit eigener Güte. Das Buch ist neben aller Polemik anspielungsreich, neologismen- und metaphernsatt, sprachlich schlicht überwältigend – und hat in der Schmidt-Philologie zu Recht einen eigenen kleinen Forschungszweig herausgebildet.
FRANK SCHÄFER
Arno Schmidt: Das steinerne Herz. Historischer Roman aus dem Jahre 1954 nach Christi. In: Das erzählerische Werk 1946–1964 in einem Band. Haffmans, Zürich 2000, 1.472 S., 68 DM
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