Goran der Gewaltige

Der Kroate Goran Ivanisevic spielte dreimal im Finale von Wimbledon, inzwischen ist er froh, wenn er ein paar Runden übersteht und die Schmerzen in der Schulter nicht übermächtig werden

aus Wimbledon MATTI LIESKE

Einst war er der Schrecken von Wimbledon, gefürchtet nicht nur von seinen Gegnern, sondern auch von den meisten Zuschauern. Goran Ivanisevic war der Herr der tausend Asse, der jedes Match zu einem reinen Aufschlagwettbewerb degradierte. Anfang der Neunzigerjahre schien sich der Tennissport rasant zu einer Domäne systematisch herangezüchteter Aufschlagriesen zu entwickeln und Goran der Gewaltige war ihr Prophet. Wer es nicht mindestens auf 1,90 m Körpergröße brachte, wurde nicht ernst genommen, den Franzosen Sebastien Grosjean (1,75 m) warf man sogar mit 16 wegen erwiesener Winzigkeit aus dem nationalen Trainingszentrum. Die Ass-Orgien des Goran Ivanisevic waren aber auch der Anlass für Überlegungen zu Regeländerungen und letztlich ein Grund dafür, dass man die superschnellen Beläge reduzierte und die Bälle langsamer machte.

Hoffnung war jedoch schon 1992 gekeimt, als der kleine Andre Agassi (1,80 m) den großen Kroaten (1,93 m) im Finale von Wimbledon sensationell schlug. Der verstärkte Einsatz des Handgelenks, wie er heute gelehrt wird, ermöglicht es inzwischen auch kleineren Spielern, hart zu schlagen, erklärt Tennistrainer Dennis van der Meer. Inzwischen gibt es die spanische Tennis-Armada, die trotz kleinen Wuchses nicht mehr nur auf Sand dominiert, etliche Mitglieder der von der ATP zu „Young Guns“ ernannten neuen Generation, wie der Australier Lleyton Hewitt (1,80 m), sind keineswegs Hünen, und Sebastien Grosjean erreichte in diesem Jahr das Halbfinale der Australian Open, wo er gegen den noch kleineren Arnaud Clement verlor. Die Invasion der Riesen ist gestoppt, die Vorherrschaft des Aufschlags selbst in Wimbledon derzeit kein großes Thema.

Goran Ivanisevic kommt aber immer noch in den Südwesten Londons, in diesem Jahr zum 14. Mal, womit er neben Jason Stoltenberg der dienstälteste Teilnehmer ist. Erstmals brauchte der Kroate jedoch eine Wildcard. In der Weltrangliste stand der 29-Jährige, der einst die Nummer 2 war, Ende 2000 auf Platz 129; dieses Jahr hat er bislang ganze acht Matches für sich entschieden, eins davon in Mailand gegen Nicolas Kiefer. Am Montag gewann er gegen den schwedischen Qualifikanten Fredrik Jonsson mit 6:4, 6:4, 6:4 sein erstes Grand-Slam-Match seit Januar 2000.

„Ich habe heute sehr gut gespielt“, freute sich Ivanisevic anschließend, „wenn Wimbledon kommt, ändert sich plötzlich alles.“ Dreimal hat er hier im Finale gestanden – nach der Agassi-Pleite verlor er noch zweimal gegen Pete Sampras –, zweimal erreichte er das Halbfinale. „Alle fragen mich, warum ich nie gewonnen habe“, sagt er. Und antwortet: „Ich weiß es nicht.“

In diesem Jahr ist sein Name noch nirgends gefallen, wenn es um die möglichen Sieger ging, was vor allem an seiner vermaledeiten linken Schulter liegt. „Ganz gewiss sollte ich gar nicht spielen“, sagt Ivanisevic, „ich sollte mich operieren lassen, aber ich laufe davor noch davon.“ Seit zwei Jahren plagen ihn heftige Schmerzen, da er Linkshänder ist vor allem beim Aufschlag: „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen First Service geschlagen habe, ohne dass es weh tat.“ Trainieren kann er nur wenig, vor den Matches pumpt er sich mit Schmerzmitteln voll, doch wenn es gut läuft, so wie am Montag, seien die Qualen erträglicher.

Nach wie vor ist der Aufschlag der Nukleus seines Spiels. „Wenn er gut ist, fügt sich alles wie bei einer Kette zusammen, kommt er nicht, fällt mein ganzes Spiel auseinander.“ Warum er sich die Plackerei noch zumutet, kann Goran Ivanisevic nicht genau erklären. Es mache ihm Spaß, behauptet er allen Ernstes, und er wolle stolz auf sich sein. Es gäbe eine Menge Spieler vor ihm in der Rangliste, die dort nicht hingehören, wie er findet: „Aber sie sind da.“

Wimbledon ist die beste Gelegenheit, daran ein bisschen was zu ändern. Die Ballwechsel sind kurz, die Belastung für die Schulter, die es ihm unmöglich macht, zum Beispiel auf Sand zu spielen, ist geringer. Nach dem erfreulichen Auftakt träumt er ziemlich offen davon, an alte glorreiche Zeiten anknüpfen zu können, wozu er heute erst einmal den Spanier Carlos Moya schlagen muss.

Was nach Wimbledon wird, weiß Goran Ivanisevic noch nicht. „Ich werde ein Gespräch mit mir selbst führen, und es wird ein langes, interessantes Gespräch werden.“ Klar ist: „Wenn ich im nächsten Jahr Tennis spielen will, muss ich mich operieren lassen.“ Gedanken darüber, was er tun könnte, wenn er seine Karriere beenden müsste, hat er sich noch nicht gemacht. Was er am allerliebsten tun würde, ist ihm deutlich anzumerken: weiter Tennis spielen. Und endlich Wimbledon gewinnen.