: Helden und Körper
Epen und Essays im postkolonialen Kino Afrikas: Eine Filmreihe zur Ausstellung „The Short Century“ im Haus der Kulturen der Welt
von KARSTEN KREDEL
Es ist beinahe zu einem neuen Klischee geworden, die Vielfalt afrikanischer Kunst zu betonen. Gemeint ist oft nichts weiter als: Afrika ist in sich schon multikulturell! Heterogen, aber eigentlich immer noch „von Natur aus“. Dass die Diversität von Kino aus Afrika und seiner Diaspora vor allem das Resultat unterschiedlicher politischer und ästhetischer Entscheidungen ist und damit eher auf Geschichte als auf kulturelle Vielfalt verweist, das lässt eine gestern in Berlin eröffnete Filmreihe zumindest erahnen und leistet damit schon Erstaunliches.
Als Afrika begann, Filme zu machen, war es schon sechzig Jahre im Kino: Zunächst nur als Topos, später auch als Zuschauer. In den Vierziger- und Fünfzigerjahren gab es in Städten überall auf dem Kontinent Kinosäle für Edutainment im Sinne des kolonialen Bildungsauftrags. Die Kämpfe für Unabhängigkeit und nationale Einheit diktierten dann den jungen Kinos ein Programm kultureller Dekolonisierung, das die alten Bilder einfach überschreiben wollte, mit Erzählungen, die ideologisch ebenso wirkungsvoll waren wie die kolonialen: Ein Kino der Helden.
Der 1972 entstandene angolanische Film „Sambizanga“ von Sarah Maldoror, die wie viele Regisseure der Zeit in Moskau studierte und deren Arbeit wesentlich vom sozialistischen Realismus geprägt war, zeichnet ein solches widerspruchsfreies revolutionäres Rollenmodell. Gleichzeitig weist „Sambizanga“ über ähnliche Filme hinaus, indem er Frauen in aktiven, wenn auch untergeordneten Rollen im Freiheitskampf auftreten lässt.
Mehr als zwanzig Jahre später entstand „Flame“ von Ingrid Sinclair als Dekonstruktion der Mythen von Heldentum und nationaler Einheit. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Kino längst den postkolonialen Realitäten zugewandt. „Flame“ erzählt die Geschichte des simbabwischen Befreiungskrieges aus der Perspektive zweier Kämpferinnen, für die der Kampf letztendlich in einer Niederlage endet: Nach der Unabhängigkeit lebt die eine in Armut, die andere ist in den Zwängen ihres „guten“ Jobs gefangen. Sinclairs kraftvolle Gegengeschichte löste in Simbabwe heftige Kontroversen aus, die sich speziell an ihrer Thematisierung von Vergewaltigungen innerhalb der Befreiungsarmee entzündeten.
Mit dem Zweifel an den offiziellen historischen Wahrheiten wurde auch die filmische Sprache des Realismus hinterfragt. Es ist kein Zufall, dass gerade Frantz Fanon bei postkolonialen Theoretikern und Künstlern der Achtziger- und Neunzigerjahre eine Renaissance erlebte, als Fragen von visueller Repräsentation in den Mittelpunkt rückten. Der martiniquische Psychiater hatte 1952 in seinem Buch „Schwarze Haut, weiße Masken“ die destruktive Macht des Blickes beschrieben, der das Verhältnis zwischen weißem Kolonisator und schwarzem Kolonisierten strukturiert. Der britische Regisseur Isaac Julien reinszeniert in „Frantz Fanon: Black Skin White Mask“ (1995) Leben und Werk Fanons in einer „postmodernen Nekrophilie“. Es geht ihm auch darum, das koloniale Bildarchiv, indem er es durcharbeitet, aufzulösen und damit ebenjenen europäischen Blick auf die Welt zu entmachten: Archivaufnahmen, Interviews und dramatische Szenen werden zu einem visuellen Essay verwoben. Der Film ist assoziativ, ambivalent und hochgradig stilisiert und bildet damit einen ästhetischen Gegensatz sowohl zur dokumentarischen Sprache, die die Spuren ihrer Inszenierung verwischt, als auch zum Realismuseffekt des historischen Dramas. Fanon ist hier nicht die revolutionäre Ikone der Sechziger, sondern ein „Körper, der hinterfragt“.
Wie Julien ist der Haitianer Raoul Peck für eine radikal subjektive filmische Sprache bekannt. Sein Film „Lumumba – La Mort du Prophète“ aus dem Jahr 1991 handelt von den Ereignissen um den Tod des ersten Premierministers des unabhängigen Kongo, aber genau so sehr von der Erschaffung des medialen Bildes des „Buschpolitikers“. Peck erzählt eine persönliche Lumumba-Geschichte: Bilder aus dem historischen Archiv und Bilder aus dem Familienalbum werden gleich behandelt. Das Voice-Over, sonst autoritäre, Bedeutung fixierende Stimme, fragt, tastet: „Man sagt, es wurde ein Riese gestürzt ...“
Acht Jahre später beginnt Pecks Spielfilm „Lumumba“ mit der Ankündigung: „This is a true story“ – gefolgt von zwei Stunden politischem Thriller, die Hollywood zur Ehre gereichen würden. Das ist spannend, unterhaltsam und unendlich weit entfernt von den fragenden Bildern der früheren Filme Pecks. An die Stelle ausgestellter Stilisierung ist nunmehr ein inszenatorischer Realismus mit Willen zur Perfektion getreten: Szenen, von denen dokumentarische Aufnahmen existieren, sind bis zum winzigsten Detail nachgestellt worden; fast jeder Dialog ist historisch belegt. Wo vorher die Linie zwischen Dokumentation und Fiktion verwischt wurde, wird jetzt die Idee der historischen Wahrheit rehabilitiert.
Lumumba zeigt Größe, sein Gegenspieler Mobutu ist unsympathisch, und die Musik überlässt nichts der Zweideutigkeit. Trotzdem ist „Lumumba“ keine einfache Rückkehr zum agitatorischen Kino der Helden. Peck nutzt seine privilegierte Position als etablierter Regisseur mit Zugang zu entsprechenden Ressourcen, um ein populäres Lehrstück mit didaktischer Absicht, aber ohne ideologische Überfrachtung zu schreiben – gerichtet nicht an ein nationales Kollektiv, sondern die viel beschworene kritische Öffentlichkeit. Lumumba bietet sich dafür an, weil seine zwei Monate an der Macht geradezu exemplarisch den Übergang von Kolonialismus zu Neokolonialismus, von nationalen Patrioten zu postkolonialen Diktatoren enthielten. Er wurde ermordet, bevor sein Patriotismus Brüche hätte erhalten können.
„Postkolonialität und Moderne im Film“, bis zum 8.7. im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Berlin-Tiergarten, www.hkw.de
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