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Heiß begehrte Stammzellen

Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass auch Stammzellen aus dem Körper von Erwachsenen für therapeutische Zwecke genutzt werden können. Trotzdem bestehen Wissenschaftler darauf, mit embryonalen Stammzellen arbeiten zu dürfen

von EVELYN HAUENSTEIN

Stammzellen sind derzeit en vogue: Kaum ein wissenschaftliches Thema wird in der Öffentlichkeit heißer diskutiert als der Umgang mit diesen wandlungsfähigen Bausteinen des menschlichen Körpers. Aus dem Rohstoff Stammzelle wollen Forscher Gewebe aller Art züchten: Knorpelzellen für kranke Gelenke, Nervenzellen für Alzheimer- oder Parkinson-Patienten, Herzzellen für die durch einen Infarkt oder Bluthochdruck geschädigte Pumpe. „Die Erkenntnisse der letzten beiden Jahre lassen auf eine neue Ära der regenerativen Medizin hoffen“, sagt Anthony Ho, Hämatologe an der Universitätsklinik Heidelberg.

Alles dreht sich um die Frage, ob die Forschung an embryonalen Stammzellen auch in Deutschland erlaubt werden soll. Bei diesen Zellen handelt es sich um für eine künstliche Befruchtung im Reagenzglas gezeugte, übrig gebliebene Embryonen, die in der Petrischale kultiviert werden. Embryonale Zellen haben zwei Eigenschaften, die sie für Wissenschaftler heiß begehrt machen. Zum einen sind sie pluripotent: Sie haben die Fähigkeit, sich in verschiedene Gewebe wie Blut, Knochen, Nerven oder Fett umzuwandeln. Außerdem sind sie quasi unsterblich: Auch nach 250 Generationen teilen sie sich unermüdlich weiter.

Doch auch im Körper Erwachsener gibt es „adulte Stammzellen“, die im jeweiligen Organ Ersatzzellen bilden. Schon seit vierzig Jahren behandeln Mediziner Leukämiekranke mit diesen Stammzellen. Das Knochenmark des Patienten wird durch eine Chemotherapie ausgelöscht, danach erhält er Blutstammzellen eines passenden Spenders, die neue Blutzellen bilden. Weltweit werden jährlich über zehntausend solcher Transplantationen vorgenommen.

In Zukunft sollen jedoch nicht nur Bluterkrankungen mit den winzigen Reparaturwerkstätten des Körpers geheilt werden. Noch vor wenigen Jahren nahmen Wissenschaftler an, dass aus Stammzellen nur Tochterzellen vom gleichen Gewebe entstehen können, also aus Blutstammzellen nur Blutzellen, aus Nervenstammzellen nur Neurone. In letzter Zeit häufen sich jedoch die Hinweise darauf, dass adulte Stammzellen das Potenzial haben, sich auch in andere Gewebearten zu verwandeln.

Anfang des Jahres gelang es kalifornischen Forschern, Fettstammzellen im Labor zu Knochen-, Muskel- und Knorpelzellen umzuprogrammieren. Ihr Untersuchungsmaterial: bei Schönheitsoperationen abgesaugtes Fett. Auch aus den Gehirnen frisch Verstorbener isolierten Wissenschaftler Stammzellen, die sich im Labor zu Nervenzellen weiterentwickelten.

In der Fachzeitschrift Nature (5. April 2001) berichteten New Yorker Forscher von weiteren Erfolgen: Sie spritzten menschliche Blutstammzellen in die Herzen von Mäusen mit künstlich erzeugtem Infarkt. Wenige Tage danach bildeten sich neue Herzmuskelzellen im Infarktgebiet.

Fluoreszierende Stammzellen von männlichen Mäusen übertrugen Wissenschaftler der amerikanischen Yale University auf weibliche Mäuse, deren eigenes Knochenmark zuvor durch Bestrahlung zerstört wurde. Kurze Zeit später fanden sich die Abkömmlinge der Mäuserichzellen überall: in Lunge, Leber, Haut und Darm. Die Forscher stellten fest, dass sich die injizierten Zellen vor allem dort ansiedelten, wo Gewebe durch die Bestrahlung besonders stark in Mitleidenschaft gezogen worden war.

Selbst in Gehirnzellen scheinen sich die Multitalente aus dem Knochenmark umwandeln zu können: Ein Forscherteam aus Heidelberg und Reno, USA, spritzte sechzig Tage alten Schaffeten menschliche Blutstammzellen, die in Gehirn und Rückenmark einwanderten. „Stammzellen wandeln sich im Körper nur dann in anderes Gewebe um, wenn Bedarf dafür besteht“, erklärt Anthony Ho.

Beim Erwachsenen besitzen manche Organe jedoch kaum natürliche Regenerationsfähigkeit: Sind Zellen in größeren Mengen zugrunde gegangen – zum Beispiel bei einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt – können sich Gehirn und Herz nicht mehr davon erholen. Deshalb arbeitet man in Labors unter Hochdruck daran, herauszufinden, welche Faktoren eine Stammzelle zur Transdifferenzierung – also Umwandlung in einen anderen Gewebetyp – bringen.

Wenn man wüsste, welche Hormone und Signalstoffe die Stammzelle auf das Bahngleis in Richtung Nervenzelle oder Herzzelle lenkt, könnte man den Prozess gezielt steuern. Die Therapie der Zukunft – autologe Stammzelltransplantation genannt – sähe dann so aus: Dem Patienten werden Stammzellen entnommen, zu einer Vorläuferzelle des gewünschten Gewebes umprogrammiert und an die geschädigte Stelle gebracht. Gelingt die Therapie, sprießen neue Zellen aus und Herz, Gehirn oder Leber funktionieren wieder. In den USA sind schon erste klinische Studien mit diesem Verfahren an Herzinfarktpatienten geplant.

Eine Frage drängt sich bei diesen Visionen unweigerlich auf: Wieso Forschung an embryonalen Stammzellen, wenn sich mit den adulten Formen schon so viel erreichen lässt? Zum einen sind die potenten Erneuerer aus dem erwachsenen Körper nur sehr schwierig zu isolieren. Am einfachsten zugänglich ist das Knochenmark, dort sind Blutstammzellen eine verschwindend kleine Minderheit mit einem Anteil von 0,5 Prozent und die pluripotente Stammzellen noch weit geringer. Dazu lassen sich die Zellen nur sehr schwer kultivieren, denn ihre Fähigkeit zur Selbsterneuerung ist begrenzt. „Daher ist es fragwürdig, ob adulte Stammzellen wirklich jemals Bedeutung für den klinischen Einsatz gewinnen werden“, meint Anthony Ho.

Bei Mäusen und anderen Labortieren sei es kein Problem, Stammzellen für eine simulierte Therapie in ausreichenden Mengen zu gewinnen: Für eine Maus mit Herzinfarkt wird einfach eine andere Spendermaus geopfert. „Viel versprechende Ergebnisse aus Tierversuchen sind also nicht ohne weiteres beim Menschen wiederholbar“, sagt der Heidelberger Hämatologe. Forschung an adulten Stammzellen alleine, wie er sie selber betreibt, sei nicht unbedingt der Schlüssel zum Erfolg. Noch ein weiterer Aspekt macht Embryonenzellen so attraktiv: An ihnen lässt sich der Differenzierungsprozess zu Zellen aus allen Körpergeweben viel einfacher und plastischer studieren als an adulten Zellen, die schon einen gewissen Spezialisierungsprozess hinter sich haben. Gerade dieser Differenzierungsvorsprung macht jedoch wiederum die adulten Formen geeigneter für klinische Therapien: Bei ihnen besteht so gut wie keine Gefahr der Entartung, während embryonale Zellen sich möglicherweise in einem fremden Körper zu einem Tumor entwickeln können.

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