Schlick, Schiene und Idealtouristen

■ Die Deutsche Bahn entdeckt ihr Herz für die Natur: Für die Präsentation lud sie ins Wattenmeer nach Wilhelmshaven und Langeoog Text: Julia Kammigan, Fotos: Alexander Steffens

Das Wattenmeer: Unendliche Weite, glitzernde Priele, gurgelnder Schlick zwischen den Füßen. Dass die Region um die Nordseeküste ein Ferienmagnet ist, hat auch die Deutsche Bahn (DB) kapiert und sich im vergangenen Jahr das Fahrtziel Natur ausgedacht. Nach ihrem Willen soll zukünftig „mehr Freizeitverkehr auf die Schiene“ gebracht werden.

Um die Verbindung von Schienenverkehr und Natur zu unterstreichen, wurden vier Nationalparks ausgewählt: Die brandenburgische Uckermark, die Insel Rügen vor Mecklenburg, der Westharz in Niedersachsen und schließlich den deutsche Teil des Wattenmeeres, von Schleswig-Holstein bis an die holländische Grenze. Das Ziel Wattenmeer hat die Bahn AG jetzt schon mal der Öffentlichkeit vorgestellt.

Natur mal naturverträglich

Aber zurück zum Fahrtziel Natur der Bahn: „Mit vier Umweltverbänden haben wir eine strategische Partnerschaft aufgebaut“, erklärt Peter Westenberger vom Bahn-Umwelt-Zentrum, „um dafür zu werben, die Natur auch naturverträglich zu entdecken.“ Mit von der Partie sind der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Naturschutzbund Deutschland, die deutsche Sektion des World Wildlife Fund und der Verkehrsclub Deutschland . Sie haben sich vorgenommen, „die Juwelen des deutschen Naturerbes“ besser zu vermarkten. Schließlich hatte schon DB-Vorstandschef Hartmut Mehdorn zum Start der Internetseite gesagt, Fahrtziel Natur sei eine beispielhafte Initiative, „um Autofahrer für die Bahn zu gewinnen“ (www.fahrtziel-natur.de). Das Fahrtziel Natur ist bislang jedoch kaum mehr als eine Werbekampagne. Den Urlaub muss der geneigte Reisende sich immer noch selbst zusammensuchen und auch ein besonderes Preisangebot bietet die Bahn nicht.

Der naturverträgliche Urlaub vor Ort verlangt der Kooperation einen absurden Spagat ab: Einerseits holt die Kooperation Urlauber ins Watt, um „touristische Potentiale“ auszuschöpfen, wie Angelika Zahrnt, Vorsitzende des BUND formuliert. Andererseits brauchen die Seehunde, Attraktion für Kinder jeden Alters, die Sandbänke als Ruheplätze, um ihre süüüßen Jungen großzuziehen. „Ich kann hier nur ein bisschen auf und ab fahren“, erklärt denn auch der Kutterkapitän, der nach Langeoog und wieder zurück fährt, „um die Seehunde nicht zu verschrecken“.

Das Ziel: Der aufgeklärte Gast

Also müssen die Veranstalter Wege finden, die Touri-Horden nach Schlick-country zu holen, sie aber auch in geordnete Bahnen zu lenken, will heißen: ihnen verständlich zu machen, nicht überall querfeldein zu stratzen und nicht alles anzufassen, was ihnen unter die Finger kommt.

Damit verfehle man den eigentlichen Punkt, hält Uilke van der Meer vom Dornumersieler Nationalparkhaus dagegen : „Unser Ziel ist der aufgeklärte Gast und nicht zwingend mehr Gäste.“ Natürlich habe der Nationalpark Wattenmeer Defizite: „Wir haben keine Ranger, die aufpassen, dass die 'Spielregeln' eingehalten werden. Wir haben keine ausreichende Beschilderung“, zählt der Wattexperte auf und bilanziert: „Man kann gar nicht immer kontrollieren, dass nicht irgendwer über die Abzäunung steigt.“ Deswegen sei es so wichtig, die Urlauber zu sensibilieren. Der Idealtourist muss also durch Aufklärung gezüchtet werden. Die Kooperation mit der Bahn sieht van der Meer als Schritt in diese Richtung, die den Gästen langfristig ermöglichen soll, ohne Auto anzureisen. „Ich hoffe, dass die Anbindung von Bahnhof zu Ferienziel im kommenden Jahr besser wird“.

An der Optimierung wird also weitergearbeitet – ernsthaft, wie Carola Hamann vom niedersächsischen BUND verspricht. „Wir wollen beweisen, dass das Fahrtziel Natur keine Luftnummer ist. Deshalb sollen Angebote entworfen werden, die die Urlauber nicht nur ans Watt bringen, sondern ihnen auch Routen und Ausflugsziele vor Ort empfehlen“.

Der Haken: Der Fahrplan 2001

Soviel zur PR-Strategie und der durchaus löblichen Theorie der Bahn AG. Die Praxis hat allerdings einen Haken: den Sommerfahrplan 2001. Zwar wird das Wattenmeer auch weiter angefahren. Wer aber beispielsweise von Bremerhaven nach Dornumersiel, dem Hafen für Kutterfahrten nach Langeoog, fahren will, hat Folgendes vor sich: Er fährt nach Bremen, wartet eine halbe Stunde, nimmt den Zug nach Norden und wartet diesmal zwei Stunden. Schließlich bringt ihn ein Bus nach Dornumersiel. Bahn-Fetischisten werden keine Probleme haben, auf diese Art sechs Stunden zu verbringen. Familien mit kleinen Kindern, also traditionelle Strandurlauber, werden bestimmt lieber per Auto anreisen – und dafür nur zweieinhalb Stunden brauchen.

Fahrtziel Natur wird weiterhin bedient

Ähnliches gilt für ältere Menschen. „Wenn ich das meiner Oma in Heilbronn vorschlage, wird die mir sagen 'Da fahr ich lieber wieder nach Tirol. Da muss ich nicht umsteigen'“, sagt jemand, der auch nach Wilhelmshaven gekommen ist, um sich das Fahrtziel Natur erklären zu lassen. Und selbst dorthin kommt man kurioserweise nur noch, wenn man in Oldenburg in die privat betriebene Nordwestbahn umsteigt.

„Als wir die Aktion ins Leben gerufen haben, waren die Kürzungen im Fahrplan noch nicht abzusehen“, verteidigt Westenberger die Idee der naturnahen Bahn. „Außerdem werden die Ziele ja auch weiter bedient. Man muss nur anders umsteigen als vorher.“ Gerade das Umsteigen kann aber der Pferdefuß der bequemen Bahnreise werden: Wenn der Urlauber auf den Bahnsteig stürzt und nur noch die Rücklichter des Anschlußzuges sieht. Der „Idealtourist“ wird noch etwas Geduld brauchen.