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Der Tennishedonist

Auf Gras ringt Nicolas Kiefer immer noch mit dem Schatten Boris Beckers. Vor seinem Drittrundenmatch hat er zumindest wieder Spaß am Tennis

aus Wimbledon MATTI LIESKE

Englische Reporter sind nicht gerade bekannt für übermäßiges Taktgefühl, und so war auch die erste Frage, die Nicolas Kiefer in Wimbledon gestellt bekam, gleich jene, die deutsche Tennisspieler und -spielerinnen mehr hassen als gegnerische Matchbälle. Jene nämlich nach Steffi Graf und Boris Becker und den hohen Erwartungen, die auf deren Nachfolgern lasten.

Kiefer täuschte erst Nichtverstehen vor, doch das half ihm nicht aus der Patsche. Der unbarmherzige Brite formulierte seine Frage einfach noch klarer und noch bohrender. Also hob Kiefer an, pflichtschuldigst die großen Errungenschaften der Altvorderen zu preisen, um dann zum Kern der Sache vorzustoßen: „Die Zuschauer von vor zehn Jahren sind auch heute noch die Zuschauer und sie wollen, dass wir jedes Mal, jede Woche gewinnen.“

Eine Haltung, die vor allem der 23-jährige Niedersachse bei jeder Niederlage in einem großen Turnier, vor allem aber im Davis Cup zu spüren bekommt. Auch in seinem teilweise verletzungsbedingt völlig verpatzten Jahr 2000 gewann Kiefer immerhin noch zwei Turniere und erreichte die Viertelfinals der Australian Open und US-Open. Vor Becker und Stich wäre so etwas ein Grund zum Jubeln gewesen, inzwischen erntet es bloß ein gelangweiltes Achselzucken der verwöhnten Tennisnation.

Fehltritte in mammutöse Fußstapfen

Die deutschen Tennisfans tun sich schwer damit, dass bei den Grand Slams inzwischen meist schon im Achtelfinale Tabula rasa herrscht, auch in Wimbledon, wo fast 15 Jahre lang mindestens eine deutsche Finalteilnahme praktisch garantiert war, überstanden diesmal von 15 im Hauptfeld gestarteten Teilnehmern lediglich Kiefer, David Prinosil und Anke Huber die zweite Runde. Der Zorn über einen derartigen Absturz ergießt sich vorzugsweise über Thomas Haas und besonders über Nicolas Kiefer, da gerade dieser auserkoren schien, nahtlos in die mammutösen Fußstapfen von Boris Becker zu treten.

„Ich bin Nicolas Kiefer“, hatte er immer stolz gesagt, wenn er mit dem Alt-Leimener verglichen wurde, inzwischen ist er tatsächlich zum Kiefer geschrumpft. Niemand spricht mehr vom neuen Boris, doch die Ansprüche sind nach wie vor hoch, vor allem in Wimbledon.

Dort war er 1997 wie ein Taifun auf die internationale Tennisbühne gestürmt und war erst im Viertelfinale gescheitert, was ihm damals noch keiner übel nahm. Danach ging es bergab bei dem Turnier im Londoner Südwesten, wo er 1995 sogar einmal im Juniorenfinale gestanden hatte. 1998 das Aus in Runde drei, im Jahr darauf die demoralisierende Zweitrundenniederlage ausgerechnet gegen Boris Becker, dem er zuvor großmundig den Fehdehandschuh hingeworfen hatte, im letzten Jahr gar die Erstrundenpleite gegen Landsmann Haas. Fehlt in der Sammlung nur noch das Aus im Achtelfinale, und man darf davon ausgehen, dass Kiefer froh wäre, wenn er diesmal so weit käme. Die beiden Siege gegen den Spanier Alex Calatrava und den Dänen Kristian Pless seien „die Pflicht“ gewesen, sagt Kiefer: „Jetzt kommt die Kür.“

Mehr als zwei Matches in Folge hat er in dieser Saison bisher nicht gewinnen können, aber Nicolas Kiefer ist zuversichtlich, dass es nach der langen Durststrecke, die seinem großen Jahr 1999 folgte, das er als Weltranglistensechster und Halbfinalist der ATP-WM abschloss, jetzt wieder aufwärts geht. „Seit ein paar Wochen habe ich keine Beschwerden mehr“, freut er sich und fügt hinzu: „Es ist schwer, Spaß beim Spiel zu haben, wenn man bei jedem Schritt überlegen muss, was kann passieren.“

Spaß ist ein zentraler Begriff in der Welt des Nicolas Kiefer, was ihm seine Kritiker gern vorwerfen. Der 23-Jährige ist kein bedingungsloser Kämpfer wie Boris Becker oder Lleyton Hewitt, sondern fällt wohl eher in die Kategorie junger Spieler, denen Altmeister Pete Sampras „ein gutes Herz und einen guten Geist“ abspricht.

Mit neuen Betreuern soll alles besser werden

Seine Niederlagen kann er oft besser begründen als seine Siege, die Grenzen zwischen selbstkritischer Analyse und fader Ausrede sind seltsam fließend. Zum schlechten Image trug auch bei, dass er jene Privilegien, die Becker, Stich oder Graf in Anspruch nahmen, nachdem sie jahrelang in der Spitze gespielt hatten, schon für sich beanspruchte, bevor er sonderlich viel erreicht hatte – auch wenn die hektische Reaktion des Deutschen Tennis-Bundes auf sein letztjähriges Davis-Cup-Moratorium schwer überzogen war.

Jetzt soll alles besser werden. Einen festen Physiotherapeuten hat er sich zugelegt, um Missgeschicke wie den schmerzhaften Ausrutscher im Match gegen Pless besser kompensieren zu können, und mit Lars Wahlgren testet er gerade einen neuen Trainer, mit dem er „viel Spaß“ hat.

Der Schwede war auch mal Trainingspartner von Steffi Graf, deren Lebensgefährte Andre Agassi jüngst ganz spezielle Tipps für Erfolg im Tennis zum Besten gegeben hat. Diese hat Wahlgren, wie der offenbar eifrige Boulevardzeitungsleser Kiefer grinsend berichtete, noch nicht an ihn weiter gegeben: „Er hat nicht gesagt, ich soll Sex vor dem Spiel haben.“

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