Kunst-Badefreuden

Mit Schwimmbadprojekten und Garküchenaktionismus knüpft die Kokerei Zollverein in Essen wieder an die Tradition der Soziokultur im Ruhrgebiet an

Die Bevölkerung in Essen-Stoppenberg ist Künstlern gegenüber eher argwöhnisch

von MANFRED BURAZEROVIC

Die Kokerei Zollverein im Essener Norden produziert wieder. Mit aktueller Kunst und einem langfristigen Konzept will die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur nicht zuletzt die Menschen aus den benachbarten Stadtteilen des riesigen Zollverein-Areals einladen. In den vergangenen Zeiten von Koks und Kohle vermittelte das 13 Quadratkilometer große Gelände den Eindruck einer verbotenen Stadt. Und jetzt haben viele ehemalige Kokereiarbeiter und Bergleute wieder den Eindruck, im schicken Restaurant, dem „Casino“ und neben den nach der Schließung angesiedelten Designern nicht besonders erwünscht zu sein. Auch deshalb erklärt Wolfgang Roters als Vorsitzender der Stiftung: „Zollverein darf kein elitärer Standort bleiben.“ Es sollen „die Menschen neugierig werden, die hier im Umfeld wohnen“.

Eine große Herausforderung angesichts der Bevölkerung in Essen-Stoppenberg, die Künstlern gegenüber eher argwöhnisch ist. „Wir verstehen das Projekt – Kokerei Zollverein Zeitgenössische Kunst und Kritik – durchaus als Beitrag zur Strukturwandeldebatte in Nordrhein-Westfalen, das die gesellschaftliche Wirklichkeit thematisiert und künstlerisch verdichtet“, erläutert der künstlerische Leiter Florian Waldvogel. Und er sieht die Einzelprojekte ganz bewusst in Opposition zu einer Gesamtplanung, die der Kunst die Aufgabe zuweist, kulturelle Leitbilder und Images für das Stadtmarketing zu produzieren.

Sein ehemaliger Lehrer an der Frankfurter Städelschule, Kasper König, Direktor des Museums Ludwig und im Kunstbeirat der Kokerei vertreten, unterstützt Waldvogel in dieser Absicht: „Im Vergleich zur Villa Hügel, dem alten Sitz der Familie Krupp am Baldeneysee im Essener Süden, wo sich Kunst repräsentativ darstellt, sind hier im Essener Norden sehr leise, aber kontinuierliche Töne angesagt.“ Es sei wichtig, auf Zollverein auch kulturell Nachhaltigkeit zu erzeugen, die interessante Prozesse in Gang bringt. Dies sei auch als Absage an die bisherige Eventkultur zu verstehen.

Im zunächst geplanten Zeitraum von fünf Jahren wird es auf dem Gelände der 1993 stillgelegten Kokerei jährlich wechselnde thematische Schwerpunkte geben. Noch in diesem Jahr – vom 14. Juli bis zum 3. Oktober – zeigen 26 internationale Künstlerinnen und Künstler in der Ausstellung „Arbeit Essen Angst“ ihre Werke, die an die architektonische und sozialgeschichtliche Besonderheit des ehemaligen Industriegeländes anknüpfen. Für 2002 bereits fest eingeplant ist das Performance-Festival „Home & Away 2“, dessen Vorläufer im Rahmen der Expo zu sehen war.

Um mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen, werden die Künstler beispielsweise in die Schulen und Altersheime gehen, um dort gemeinsame Projekte anzuregen. Sebastian Stöhrer, der sonst Skulpturen aus Materialien wie Papier und Holz fertigt, richtet in der Cafeteria der Kokerei eine „Kochwerkstatt“ ein, in der er Besucher unter anderem mit der Kunst des Grillens vertraut machen will. Denn im handwerklichen Können sieht Stöhrer die Schnittmenge zwischen traditioneller Bildhauerei und dem Kochen als „sozialer Skulptur“. Aber findet er mit diesem Ansatz wirklich große Resonanz bei den Menschen in der Umgebung? Eine Ahnung bekam der Frankfurter Stöhrer vermutlich, als er für etwas frischen Thymian und Rosmarin bis in die Essener Innenstadt fahren musste, da die örtlichen Supermärkte solch einen Bedarf nicht kennen.

Pünktlich zum Beginn der Freibadsaison eröffneten die ebenfalls aus Frankfurt kommenden Dirk Paschke und Daniel Milohnic ihr aus zwei Überseecontainern geschweißtes „Werksschwimmbad“, das an heißen Tagen vor allem die Jugend an den Pool bringen soll. Hier ist der aktuelle Bezug mehr als gelungen, denn trotz starken Bürgerprotests wurde vom Rat der Stadt gerade der Beschluss gefasst, zwei große Freibäder aus Kostengründen zu schließen.

Das Team um Florian Waldvogel wird in diesem Jahr eine Anschubfinanzierung von knapp 3 Millionen Mark erhalten. In den folgenden Jahren wird das notwendige Geld zum Großteil von öffentlichen und privaten Sponsoren kommen, die bereits auch vertragliche Zusagen gegeben haben. Dabei ist es für den Stiftungsvorsitzenden Roters wichtig, dass die Kokerei-Aktivitäten im Zusammenhang mit den Plänen für das gesamte Zollvereinareal stehen – zu dem als internationales Aushängeschild vor allem die von Fritz Schupp und Martin Kremmer entworfene Architektur von Schacht XII gehört.

So soll mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union das Ruhrmuseum zur Geschichte der Industrialisierung entstehen und der weitere – vom Land favorisierte – Ausbau des Designstandortes Zollverein zügig vorangehen. Ein Highlight in naher Zukunft werden sicherlich auch Musik- und Theateraufführungen im Rahmen der Ruhrtriennale. Deren Leiter, Gérard Mortier, führte bereits Regisseure über das Gelände und soll schon ganz verliebt sein in Zollverein.

Öffnungszeiten vom 14. Juli bis 3. Oktober: Mi–So, 12–20 Uhr. Informationenunter www.kokereizollverein.de