Geniale Einfälle auf der Toilette

Techno-Doping in der Schachszene: Der Taschencomputer Pocket Fritz schafft ein Remis gegen den ungarischen Weltklassespieler Peter Leko, und die Gefahr von Betrugsversuchen durch Westentaschen-Großmeister wächst

99 Prozent der Vereinsspieler werden keine Chance gegen Pocket Fritz haben

MAINZ taz ■ 1931 kam es beim Turnier in Bled zu einem peinlichen Zwischenfall. Die Partie des Jugoslawen Kostic gegen Kashdan (USA) befand sich in einem komplizierten Endspiel, als ein Turm einen Springer am Brettrand festnagelte und zu erobern drohte. Kostic zog sich daraufhin für längere Zeit an den Ort zurück, den auch der Kaiser zu Fuß aufsucht.

Plötzlich verbreitete sich im Turniersaal wie ein Lauffeuer die Meldung, Kostic sei dort überrascht worden, wie er die Partie mit einem Miniaturschachspiel analysierte! Die Turnierleitung verzichtete auf drakonische Maßnahmen und beließ es bei einer Verwarnung des Übeltäters. Die Partie wurde fortgesetzt und endete remis. Ein paar Runden später suchte Savielly Tartakower das stille Örtchen auf und fand sämtliche Türen verschlossen. Er rüttelte an allen und rief erbost: „Verflixt, überall Kostic!“

Weit schlimmere Betrügereien drohen dem Turnierschach, wenn in drei Wochen Pocket Fritz für 99 Mark auf den Markt kommt. Ertrotzte der große Bruder Fritz 6 der Firma Chessbase im Vorjahr auf einem Hochleistungsrechner noch ein 5:5 gegen die versammelte Weltspitze, so kassierte er am Samstag im Taschenformat bei den Chess Classic Mainz eine deutliche 0,5:3,5-Niederlage. Stefan Meyer-Kahlen war aber trotzdem zufrieden. „Ein Remis war unser Ziel“, so der vierfache Computerschachweltmeister aus Düsseldorf.

Das Programm, das im Vergleich zu 2000 von einem fünf Zentner schweren Ungetüm auf ein handliches Gerät schrumpfte, spielte schließlich gegen den Weltranglistenvierten Michael Adams und den drei Plätze tiefer eingestuften Peter Leko. Machte der Engländer beim 2:0 nicht viel Federlesens, ließ der Ungar Leko eine Punkteteilung zu. Die Schlappe in nur 21 Zügen gegen Leko änderte nichts daran, dass Pocket Fritz mit 2.400 Elo-Punkten eine Ratingzahl wie ein Internationaler Meister erreichte.

Damit haben 99 Prozent der Vereinsspieler keine Chance mehr. „Das könnte ein Problem fürs Turnierschach werden. Man verschwindet kurz auf der Toilette, um sich einen Tipp zu holen oder um unsere Datenbank in Hamburg über die Eröffnung zu befragen. Pocket Fritz kann zukünftig für Ärger sorgen“, weiß Meyer-Kahlen um die Gefahren.

Vor zweieinhalb Jahren hatte der „Fall Allwermann“ für Aufregung gesorgt. Der Memminger hatte beim Turnier in Böblingen dem russischen Großmeister Sergej Kalinitschew im Rausch des erreichten ersten Platzes ein „Matt in acht Zügen“ angekündigt und damit die Szene auf seine Fährte gelockt. Beim Nachspielen der Partien des Kreisligaspielers, der plötzlich wie einer aus den Top 40 agierte, zeigte sich eine frappierende Übereinstimmung mit den Zugvorschlägen von Fritz 5.32. Mit einem speziell angefertigten Handsprechfunkgerät für rund 4.600 Mark hatte Allwermann die Züge vom Brett zu einem versteckten Helfer übertragen. Die Rechenergebnisse von Fritz hatte der 56-Jährige über einen verborgenen Miniohrhörer, der unter wallendem Haar versteckt war, erhalten. Glücklich wurde Kreisligaspieler Allwermann nicht mit seinem Coup: Zum einen machte er bei nur 1.660 Mark Preisgeld in Böblingen ein finanzielles Minus, zum anderen sperrte ihn der Bayerische Schachbund für einige Zeit.

Das preiswerte Programm Pocket Fritz steigert die Versuchung, sich Turniererfolge und damit Anerkennung mit elektronischer Hilfe zu verschaffen. Wie beim Fall Allwermann droht im Schach das Szenario von Leibesvisitationen vor dem Spielsaal. Matthias Wüllenweber von der Firma Chessbase empfiehlt im Kampf gegen Techno-Doping: „Es gibt ein einfaches Mittel dagegen: Den Leuten die Pocket-Computer vor dem Spielsaal abnehmen.“ Aber kann man die Kostic und Allwermanns dieser Welt auch bis aufs stille Örtchen verfolgen? HARTMUT METZ