hörhilfe: Ben Becker erzählt vom Aufstieg des Muhammad Ali
Kein Endkampf ohne Gewitter
Es ist Sommer, es ist Nacht, und sintflutartiger Regen ergießt sich über Berlin. Man sitzt bei offenem Fenster im Dunkeln wie an Deck einer auf Grund gelaufenen Arche Noah und hört Ben Beckers Bass durch das laute Regenrauschen. Würde man noch rauchen, würde man jetzt eine anzünden. Becker, den man zuletzt bei Zadek im Theater als Kindsmörder (in Neil LaButes „Bash“) sah, brummt von Boxkämpfen und der „Nation of Islam“, mal märchenonkelnd, mal geschichtsbuchhaft, mal raffiniert spannungssteigernd.
Sonor schnurrt der Becker-Sound vom „Aufstieg des Cassius Clay oder die Geburt des Muhammad Ali“ gegen den Sommerregen, ab und zu unterbrochen von kurzen, meist unverständlichen Tondokumenten, in denen man nur das Publikum diffus lärmen hört. „King of the World“ heißt die Biografie, die der New Yorker-Chefredakteur David Remnick 1998 publizierte und die ihren Weg durch das Bertelsmann-Imperium gemacht hat.
Dass es jetzt regnet, ist bei aller Beschaulichkeit auch rezeptionsstrategisch nicht verkehrt. Lustiger wäre, wenn es jetzt doppelt regnen würde: in echt und bei Becker auf CD. Denn Regengeräusche authentifizieren vorzüglich Szenarien, in denen einsame, heroische Einzelkämpfer zum letzten Gefecht antreten. Der Boxsport, verdammt: Kein Endkampf ohne Gewitter, zur Not simuliert durch Kamerablitze und Schweißfontänen im Gegenlicht. Dabei strotzen die Protagonisten meist schon qua Herkunft vor Glaubwürdigkeit. Sie kommen aus der Gosse, aus dem schwarzen Ghetto, aus Russland oder Frankfurt an der Oder. Diese Herkunft berechtigt, symbolische Kämpfe auszutragen. Symbolik erster Ebene (Fiction): Gut gegen Böse. Symbolik zweiter Ebene (Realismus): der Underdog gegen das System, das ihn isoliert und ausgrenzt. Symbolik dritter Ebene (Analyse): die Veranstalter sind reich und mächtig genug, um Hahnenkämpfe zu ihrem Prestige und Vergnügen zu organisieren.
Aber Remnicks Buch ist nicht nur eine Hommage an den Ausnahmesportler und Selbstdarsteller, sondern auch eine Geschichte von Kultur und Rassimus in den Vereinigten Staaten der 50er- und 60er-Jahre. In die Hörbuchfassung wurde davon - auch werbetechnisch clever – gerade so viel gerettet, dass man entschieden neugierig auf das Original wird: kleine Exkurse über Clays typisch schwarze Mittelstandsfamilie, Malcolm X und das Kennedy-Attentat. Hauptsächlich jedoch kreist sie um Cassius Clays früh etablierte Strategie des selbstbeweihräuchernden Lärmens für die Medien und um seinen legendären Karriere-entscheidenden Kampf gegen Sonny Liston, den vorbestraften schwarzen Schwergewichtler, der das Böse verkörperte. Ben Becker, der Boxer der deutschen Schauspielkunst, ist der richtige Mann, davon zu künden.
Zwischen vom Himmel herabdonnernden Wassermassen beanwortet sich dann auch die Frage, wer nun in diesem Fall tatsächlich profitiert hat: die schwarze Emanzipationsbewegung vom Prestige des Muhammad Ali? Die Unterhaltungsindustrie davon, dass sich immer Idioten aller Couleur finden, die einander für Geld die Fresse einschlagen? Der Sport vom wegweisenden Talent eines Protagonisten, der nicht nur Kampfmaschine, sondern auch Schauspieler war? Alle und alles zugleich, so lautet einmal mehr die Antwort aus dem System der unbegrenzten Möglichkeiten. EVA BEHRENDT
David Remnick: „King of the World – Der Aufstieg des Cassius Clay oder die Geburt des Muhammad Ali“. Gesprochen von Ben Becker. 2 CDs. 2001 BMG Wort. 39 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen