: Wer darf was im Internet
ARD und ZDF wollen ihre Online-Dienste ausbauen. Die Privatsender sind strikt dagegen und ziehen vor die EU-Kommission. Zwar verhält sich die Politik unentschlossen, doch die alten Fronten bröckeln
von RALF GEISSLER
Gebühren sind nicht populär. Umso erstaunlicher klang gestern eine Meldung, die der Mediendienst Kontakter vorab verbreitete: „Heide Simonis, Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, fordert die Internet-Gebühr für ARD und ZDF“. Ist Heide Simonis nun ahnungslos oder besonders wagemutig?
Keins von beiden, wenn man Matthias Knothe glaubt. Der Leiter des Medienreferats der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei versuchte gestern das Interview, auf das sich die Meldung bezog, zurechtzurücken: Frau Simonis wolle keine neue Zwangsgebühr für öffentlich-rechtliches Internet. „Sie meint, man müsse darüber nachdenken, bei alten technischen Verbreitungswegen zu sparen und das Geld für Internet-Angebote zu verwenden.“ Klartext: Es werde also mitnichten teurer.
Skeptischer ist da Ursula Adelt, denn schon mehrmals haben ARD und ZDF zusätzlichen Gebührenbedarf für Internet-Aktivitäten angemeldet. Adelt ist Geschäftsführerin beim Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT), einer Lobbyorganisation, der so ziemlich alle privaten Sender angehören. Und die mögen gar nicht, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihnen potenzielle Surfer wegnehmen. „Selbst wenn Internet und Rundfunk verschmelzen, muss man fragen, ob die Öffentlich-Rechtlichen auf Kosten aller Vorreiter dieser Entwicklung sein müssen“, sagt Adelt.
Unterstützung erhalten die Privatfunker wie so oft von den Zeitungsverlegern: Auch die wollen das Internet-Engagement von ARD und ZDF möglichst klein halten. „Programmbezogene Angebote, wie es der Rundfunkänderungsstaatsvertrag vorsieht, sind in Ordnung. Alles darüber hinaus nicht“, sagt Hans-Joachim Fuhrmann, Sprecher beim Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV).
Offen ist freilich die Frage, was „programmbezogen“ genau heißt. Während den Verlegern und Privatfunkern am liebsten wäre, das öffentlich-rechtliche Angebot ginge nicht über eine leidlich interaktive Programmvorschau hinaus, möchte der WDR-Intendant und ARD-Vorsitzende Fritz Pleitgen über das Netz am liebsten auch ganze Sendungen zum Download anbieten – natürlich nur gegen entsprechende Kostenerstattung.
Doch schon jetzt geht Fritz Pleitgen den VPRT-Granden zu weit: Im April beschlossen die ARD-Intendanten, www.tagesschau.de zum vollwertigen Nachrichtenportal auszubauen. Seit Mai können alle öffentlich-rechtlichen Radioprogramme unter www.ard.de als so genannte Life-Streams mitgehört werden.
„Für einen privaten Anbieter kostet diese Technologie sehr viel Geld. Die ARD zahlt das aus der Gebührenkasse“, klagt Adelt.
Für noch größeren Unmut sorgt bei ihrem Verein aber das ZDF, das mit Deutschlands größtem Internet-Provider T-Online kooperieren will: Der Sender liefert T-Online ein komplettes Nachrichtenangebot und verweist in den eigenen Nachrichtensendungen darauf. Gegen diese Pläne nun bereitet derVPRT eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission wegen Wettbewerbsverzerrung vor. Und BDZV-Sprecher Fuhrmann spricht von „unerlaubtem Sponsoring“, weil das ZDF „für einen Appel und ein Ei“ seine Nachrichten an T-Online verkaufe und zusätzlich die T-Online-Adresse bei „heute“ und anderswo einblenden wolle. „Da ist auch die Unabhängigkeit der Redaktion gefährdet“, unkt Fuhrmann.
Bereits im Februar ließ der BDZV den Leipziger Juristen Christoph Degenhart eine Studie vorstellen, die belegen sollte, dass ein Internet-Engagement der Öffentlich-Rechtlichen über ein programmbegleitendes Angebot hinaus nicht verfassungskonform sei. Aufgaben von ARD und ZDF seien Grundversorgung und Garantie der Meinungsvielfalt. Genau deshalb, so Degenhart, würden ARD und ZDF im Netz nicht benötigt. „Anbietervielfalt ist im Internet von vornherein gewährleistet“, schreibt der Jura-Professor. „Daher bedarf es nicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als eines Vielfaltsgaranten.“
Fritz Pleitgen hat dagegen bereits aus einem anderen Gutachten zitiert – das es offiziell noch gar nicht gibt. Diese Studie, so der ARD-Chef, belege, dass private Internetanbieter keine ausreichende publizistische Vielfalt im Netz gefährleisten können. Vorlegen will die ARD das Werk des Hans-Bredow-Instituts und des Institut für Medienforschung an der Universität zu Köln allerdings erst in vier Wochen.
Vermutlich werden sich die Medienforscher darin auch auf eine Untersuchung der US-Marktforscher Jupiter Media Metrix berufen. Denn diese erklärt die Annahme, im Internet seien Meinungs- und Marktkonzentration unmöglich, weil es unendlich viele Kanäle gebe, zu einem Mythos. Schon heute dominierten immer weniger Anbieter in den USA das Internet: Vor zwei Jahren verteilte sich die Hälfte der Online-Zeit in Nordamerika noch auf elf Anbieter – heute sind es noch vier. Spitzenreiter AOL vereinigt 32 Prozent aller Online-Minuten auf sich. Microsoft, die Nummer zwei, kommt nur auf 7,5 Prozent, und die kleinen Anbieter verschwinden in der Bedeutungslosigkeit.
Genau hier könnten die Öffentlich-Rechtlichen mit ihrer Argumentation ansetzen. Die Ministerpräsidenten der Länder stehen derzeit jedenfalls mehrheitlich auf Pleitgens Seite – trotz jahrelanger Lobby-Arbeit der Privaten. Auch wenn beide Seiten wohl kaum ihre Maximalforderungen durchsetzen werden können: Auch Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) kann sich mehr Geld für Online-Aktivitäten von ARD und ZDF vorstellen. „Wir dürfen den Öffentlich-Rechtlichen nicht die neuen Möglichkeiten und damit die Zukunft nehmen“, sagte Vogel Mitte Mai beim Medientreffpunkt Mitteldeutschland – und ging damit auf Gegenkurs zu den meisten seiner Parteifreunde.
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