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Es schön kuschelig haben. Im Bassin

■ Androiden mit beschränktem Wort- und Gestenreservoir: Gesine Danckwarts „Täglich Brot“ bei den Autorentheatertagen im Thalia in der Gaußstraße

Bei Hieronymus Bosch war's der Jungbrunnen, der ewige Pfirsichhaut versprach. Lange her. Für uns zeitgemäß Aufgeklärte ist es das Plantschbecken und Allheilmittel Werbung: Spring hinein, und du wirst universell kompatibel, egal, ob du dich bis zum Bauch oder nur bis zur Ferse ins kühle Nass wagst. Wir werden deine Hirnsynapsen schon durchlässig machen für unser Gefasel. Und irgendwann spürst du gar nix mehr.

So weit, so lustig. Das Dumme ist nur, dass die Fünf in Gesine Danckwarts Täglich Brot, einer Koproduktion von Theaterhaus Jena, TIF/Staatsschauspiel Dresden, Berliner Sophiensälen und Thalia Theater, jetzt aufgeführt in der Gaußstraße, sehr wohl noch was merken. Dabei haben sie sich so viel Mühe gegeben: Phrase über Phrase haben sie in ihren Kopf gemüllt, egal, ob derlei Satzversatz aus der Nivea-Werbung oder vom Karriere-Coach stammt: „Was bin ich mir wert?“, fragt der junge Sesam ein übers andere Mal; mit der „Ich gönn mir wirklich etwas Creme“ massiert Gala ihr Gesicht. Doch es hilft nicht recht, und aus dem Bassin mit sich verflüssigendem Wortmaterial kommen sie auch nicht raus in Christiane Pohles Inszenierung: Irgendwas hakt noch in den Hirnen der wahlweise Arbeitslosen oder -süchtigen, deren Zeit mal zäh, mal flüssig ist.

Wo genau die Widerhaken sind, können die Figuren nicht orten; ist auch gar nicht nötig. Denn Pohle hat keine Inidividuen aus Danckwarts Text gepresst, sondern die Figuren elegant ineinander gefügt: Nicht nur, dass einzelne von sich selbst mal in der ersten, mal in der dritten Person reden; auch der Bassinnachbar übernimmt gern mal Sätze, die gar nicht seine sind. Einen Gordischen Knoten der Identitäten knüpft hier die Regisseurin – und auch das sympathisch asymmetrisch: Streckenweise zeigen die Figuren – ständig das Selbstdarstellungsmodul wechselnd – durchaus Profil (Workaholic, Macho, Anfängerin, Träumer). Aber immer nur bis zum nächsten Schnitt.

Austauschbar sind die Akteure schließlich geworden – nicht nur, weil sie dieselben Phrasen verwenden, sondern auch, weil es egal ist, wer sie spricht: Magisch werden alle in die Richtung gebeamt, die der arbeitsdominierten „Industriegesellschaft West“ gelegen kommt: in die des Statisten ohne individuelle Kommunikationsreste, dem man auch die Selbstfindungssequenzen (“Lieber wäre ich Landwirt geworden“) nicht mehr glaubt. Dabei ist gar nicht sicher, ob die Erfolgreichen, die „immer ein Stück voraus sind“, wirklich so zahlreich sind oder ob sie nur in den Hirnen derer existieren, die so sehr nach Anpassung streben. Und dass jeder das System mit der Maxime „Arbeit schafft Identität“ durch Permanentanpassung mit erschafft, will keiner der Fünf durchschauen.

Täten sie es, müssten sie feststellen, dass sie wie Androiden wirken, deren begrenztes Gestenrepertoire fatal an die 1922 vom Regisseur Wsewolod Meyerhold in Moskau eingeführte Biomechanik erinnert, die später Teil realsozialistischer Erziehung wurde. Erklärtes Ziel: maschinenartig funktionale, störungsfreie Bewegungen. Aktuelle Variante „West“ zu beobachten bei Pohles managerseminarartiger Tai-Chi-Wassergymnastik im zerplantschten Bassin. Petra Schellen

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