Großinquisitor verteufelt

Der Schweizer Roger Federer gilt als eines der größten Talente im Tennis. Dass ausgerechnet er Pete Sampras im Achtelfinale aus dem Turnier von Wimbledon wirft, ist aber eine veritable Sensation

aus Wimbledon MATTI LIESKE

Kaum jemand hatte ernstlich geglaubt, dass die Wimbledon-Diktatur des Pete Sampras in diesem Jahr enden könnte. Und niemand außer ein paar versprengten Schweizern hätte gedacht, dass der Tyrannenmörder Roger Federer heißen könnte. Zwar hatte dieser in den beiden letzten Jahren Vorschusslorbeeren wie kaum ein anderer junger Spieler eingeheimst, doch dem „Lawn Ranger“ (Daily Telegraph), dem Großinquisitor des Rasentennis, dessen zweite Wimbledon-Niederlage in acht Jahren beizubringen, und das mit 19 Jahren beim ersten Auftritt in der einschüchternden Atmosphäre des Centre Courts – no way.

Doch Roger Federer hatte von alledem wohl nichts gehört. Cool bis in die Spitzen der trendwidrig langen Haare, spielte er auch noch im fünften Satz fast makelloses Tennis. Im Gegensatz zu Sampras nutzte er rigoros seine Chancen. Die Niederlage des 29-jährigen Dauersiegers gegen den 19-jährigen Parvenü bildete den Nährboden für die beliebte Theorie von der Wachablösung. Sampras wurde von den Journalisten fast zum Rücktritt gedrängt, konterte jedoch mit einem messerscharfen Return, wie er ihm in der entscheidenden Phase des Matches nicht gelungen war.

„Nun dreht nicht gleich durch, ich habe bloß verloren.“ Er wisse, sagte Sampras, dass er die Mittel habe, Wimbledon noch einmal zu gewinnen, „wenn nicht im nächsten Jahr, dann eben im übernächsten“. Man dürfe ihn nie abschreiben, gab John McEnroe zu, doch auch er sah „das Ende einer Ära“. Offenkundig sei der siebenfache Wimbledon-Sieger nicht mehr motiviert, „die kleinen Dinge zu tun, die man braucht, um die großen zu schaffen“. Es bedurfte allerdings eines fantastisch spielenden Roger Federer, um den Monarchen aus seinem Palast zu werfen. Sampras wurde nicht müde, seinen Bezwinger in höchsten Tönen zu loben. „Großartige Rückhand, guter Aufschlag, gutes All-Around-Game, keine Löcher in seinem Spiel, ziemlich entspannt, toller Athlet“, schwärmte der Kalifornier und verglich Federer mit sich selbst. Eine Parallele, die der einstige Doppelchampion Frew McMillan so nicht gelten lässt. Federer habe schon jetzt bessere Grundschläge als Sampras und sei definitiv eine künftige Nummer eins, sagte der Südafrikaner im Frühjahr, als der Jüngling in Mailand sein erstes Turnier gewann und anschließend die USA mit Martin und Gambill im Davis Cup praktisch allein bezwang. Federer selbst bezeichnet Sampras zwar „als früheres Idol“, das Auftreten auf dem Platz habe er ihm jedoch nicht abgeschaut. „Ich habe Schläger geworfen, wie man es sich kaum vorstellen kann, die ganze Zeit kreisten Helikopter“, beschreibt er sein früheres Temperament, erst in diesem Jahr habe er solches Benehmen weit gehend abgestellt, „weil es meinem Spiel nicht hilft“.

Eine Nuance, die offensichtlich noch fehlte, um das zu realisieren, was Federer, der mit drei Jahren im Tennisklub des Baseler Chemiegiganten Ciba-Geigy zum Racket griff, seit längerem prophezeit wird. Die ATP hatte ihn schon Anfang 2000 in ihre „New Balls“-Kampagne aufgenommen, kein Geringerer als Boris Becker bezeichnete ihn als „eines der größten Talente, die das Welttennis hervorgebracht hat“. Beckers früher Förderer Ion Tiriac bescheinigte ihm „alle Anlagen zum Superstar“. Pat McEnroe, Davis-Cup-Kapitän der USA, verglich den Baseler sogar mit seinem Bruder John.

Dass Roger Federer, die Nummer 15 der Setzliste, in diesem Jahr schon Wimbledon gewinnt, darf bezweifelt werden. Die Zeiten, als sogar 17-Jährige hier siegen konnten, sind vorbei, zu riesig und zahlreich sind die Hürden geworden, die den Weg zum Titel versperren. „Mal sehen, was in der nächsten Runde ist“, sagt der australische Ex-Champion Pat Cash. Da spielt Federer heute im Viertelfinale gegen Tim Henman oder Todd Martin. Immerhin ist der Schweizer einer der wenigen im Starterfeld, die bereits einen Wimbledon-Titel haben. 1998 gewann er, wie vor ihm Björn Borg, Ivan Lendl oder Stefan Edberg, bei den Junioren. Zuvor hatte sich der talentierte Fußballer endgültig gegen das Kicken entschieden, mit 16 dann die Schule abgebrochen. „Immer, wenn ich ein Buch in die Hand nahm, schlief ich ein“, benennt er klare Prioritäten. „Ich verließ die Schule und dann ging es so“, erzählt er und unterstreicht den Satz mit einem steil nach oben gerichteten Zeigefinger. Dass es „so“ weitergeht, davon ist nicht nur US-Spieler Jan-Michael Gambill überzeugt, der nach dem Davis Cup meinte: „Seinen Namen kannte man bei uns in Amerika noch nicht, aber das wird sich nun schnell ändern.“ Am Montag in Wimbledon hat Roger Federer diesen Erkenntnisprozess ganz gewaltig beschleunigt.