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„Ich dachte, ich sterbe“

■ Von Neonazis mit der Gaspistole bedroht – Oldenburger Filmemacher will sich trotzdem nicht in die Opferrolle drängen lassen / Täter wohnen in der Nachbarschaft

„Ich will kein Opfer sein“, sagt Farshid Ali Zahedi immer wieder, „ich will nicht als einer hingestellt werden, der Mitleid erheischen will.“ Aber Zahedi ist ein Opfer, ob er will oder nicht. Dass er öfter von jugendlichen NPD-Aktivisten beschimpft wurde, dass sie dem Iraner schließlich eine Pistole an den Kopf setzten, macht ihn zu einem Opfer rassistischer Gewalt. Aber zu den offenen Anfeindungen kommt schließlich fast so etwas wie Scham über die Opferrolle.

Es ist fraglich, ob Markus D. und David M. ebenfalls Scham empfinden. Als sie am 21. Juni NPD-Aufkleber an einen Altglascontainer in der 91er Straße in Oldenburg anbringen, stellt Zahedi sie zur Rede. David M. zieht daraufhin eine Pistole und setzt sie ihm an die Schläfe.

Als zwei Passanten sich einmischen, ziehen sie ab. „Ich dachte, dass ich sterben würde“, erinnert sich Zahedi. Andere sahen es weniger dramatisch. „Fast niemand zeigte eine Reaktion, obwohl er laut geschrien hat und die 91er Straße recht belebt ist“, berichtet Tahsin Albajrak, Ratsherr der Stadt Oldenburg, der Zeuge des Vorfalls wurde.

Der 41-jährige Zahedi kam 1984 nach Deutschland und hat seither seinen Wohnsitz in Oldenburg. Der Filmemacher hat sich auf regionalhistorische und politische Themen konzentriert. Seine Dokumentationen befassen sich mit Arisierung und Vertreibung im Raum Oldenburg während der Nazi-Diktatur. Jetzt selbst zur Zielscheibe zu werden, will er sich nicht gefallen lassen. „Im Rahmen des Möglichen dagegen einzuschreiten“, hat er sich vorgenommen. Beim Bürgeramt versucht er die Einrichtung der Stelle eines Beauftragten gegen Diskriminierung durchzusetzen. Ein Termin bei der Dezernentin für Sicherheit und Ordnung, mit der er über den Vorfall sprechen wollte, kam nicht zustande. Das sei Sache der Polizei, hieß es im Vorzimmer.

Die Polizei hat die beiden Täter und ihre Begleiterin tatsächlich kurz nach der Tat gefasst, wenig später aber wieder laufen lassen. Nicht nur Zahedi kennt die beiden, auch dem 4. Fachkommissariat, unter anderem zuständig politisch motivierte Straftaten, sind die beiden jungen Männer schon aufgefallen. Dennoch wollte sich der Pressesprecher der Oldenburger Polizei, Hartmut Riesmeier, gestern nicht darauf festlegen, dass man es mit einem rechtsradikalen Vergehen zu tun habe. Gegen den 18-jährigen David M. laufen nach dem Gaspistolen-Angriff jetzt Ermittlungen wegen „Bedrohung“, die angesichts seines Alters keine schwere Strafe nach sich ziehen werden.

Zahedi empfand diese Bedrohung als „Scheinhinrichtung“ – ein Tatbestand, der im Strafgesetzbuch nun mal nicht vorgesehen ist. Beide Täter wohnen in der näheren Umgebung, Zahedi ist ihnen seither wieder begegnet. Zu der Ohnmacht gegenüber den Straftätern kommt die Wut darüber, dass solche Atta-cken Wirkung hinterlassen: „Die versuchen, uns in unserem Leben einzuschränken. Ich versuche Normalität zu bewahren. Aber manchmal fühle ich mich dabei wie ein Schauspieler.“ nk

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