Schlaf als letzte Gewissheit

Das „Bündnis für aufgeweckte deutsche Literatur“ tagte im Alfelder Schnarchmuseum

„Des Schlafes wahrer Bruder ist das Schnarchen“, doziert Nida-Rümelin in seiner Rede

Da staunt der Dichter Bauklötze. „Der Somnotron Premium führt dem Schnarcher über die Gesichtsmaske einen steten Luftstrom zu, der die unangenehmen Geräusche eleminiert“, sagt Dr. Joseph A. Wirth. Bachmann-Preisträgerin Zoe Jenny ist unangenehm berührt. Neben dem wuchtigen Apparat stapelt sich ein Pandämonium der Niedertracht: Kinnbinden, Mundprothesen, Nasenklemmen, Ohrkerzen.

In der nächsten Vitrine künden Keulen und in Kissen vernähte Stahlkugeln von den Anstrengungen menschlichen Erfindergeistes, dem Schnarchen Paroli zu bieten. „Geholfen hat aber nur das hier“, meint Dr. Wirth und lässt die Hand zärtlich über den „Somnotron Premium“ gleiten, das Prunkstück seiner weltweit einzigartigen Sammlung.

Wir sind im „Schnarchmuseum Alfeld“. In dem beschaulichen Städtchen hinter den sieben Bergen hat Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin das „Bündnis für aufgeweckte deutsche Literatur“ versammelt. Gilt es doch, einem Problem zu Leibe zu rücken: Wo Deutschlands Jungpoeten auftauchen, wird zunehmend lauter und immer hemmungloser geratzt.

„Des Schlafes wahrer Bruder ist das Schnarchen“, doziert Nida-Rümelin in seiner Begrüßungsrede; dann verteilen sich sich die Jungdichter auf die Arbeitsgruppen. Die Ergebnisse sind erschütternd. Versuche der Gruppe „Schindhelm“, den Schlaf „als letzte große Gewissheit“ zu positivieren, werden im Plenum gnadenlos niedergebuht; in Döblins „Berlin Alexanderplatz“, einem Opus magnum alkoholbedingten Totaldämmmers, kann die „Gruppe von Ußlar“ nicht den kleinsten flatternden Gaumenlappen ausmachen. Und Maike Wetzel klagt gar über Elias Canetti: „Wen man schlafen sah, den kann man nicht mehr hassen“, habe der Analytiker gelogen, berichtet Wetzel, während ihr dicke Tränen über Wangen rinnen. „Bei meinen Lesungen schnarchen die ersten schon nach zwei Minuten wie die Kettensägen. Ich könnte sie alle umbringen.“ Das kann Wolfgang Leppenies nach dem Mittagessen („Ente im Schlafrock“) nur bestätigen. Deutschlands führender Popsoziologe spricht zum Thema: „Verschnarcht Deutschland seine Zukunft?“. Er fresse seinen komischen Hut, wenn nicht hunderte unaufgeklärte Gewaltverbrechen auf die Unerträglichkeit des nächtlichen Seins zurückzuführen seien, führt der Forscher aus, bis ein Schnorcheln seinen Vortrag unterbricht.

„Schnarchen tun wir ja alle“, beruhigte Dr. Wirth die Gemüter, „aber 6 bis 8 Prozent sind gefährliche Apnoetiker.“ Das heißt, bei ihnen kommt es während der Schlafphase regelmäßig zu Aussetzern der Atmung, was unweigerlich erst zu Herzklabastern und Schlafstörungen, später zu unheilbarem Wahnsinn und abruptem Hinscheiden führen müsse. Bei einigen der bedeutendsten deutschen Unholde handle es sich um nicht rechtzeitig enttarnte Schnarcher: Adolf Hitler, Fritze Haarmann, Fritze Honka, Jürgen Drews, Helmut Kohl, Helmut Markwort, Peter Härtling, Alfred Biolek, Birgit Breuel, Michael Friedman oder die gefürchteten Förster-Brüder. „Aber auch Churchill und Napoleon waren Apnoetiker“, verweist Dr. Wirth auf die Internationalität des Phänomens.

Es bestehe noch Hoffung, machte Abschlussredner Dr. med. Wolfgang Pirsig den Edelfedern Mut. Er, Pirsig, toure seit Jahren höchst erfolgreich mit seinem Standardwerk „Schnarchen – lästige Störung oder Krankheit“ durch die 80 Schlaflabors der Republik. Das empfehle er auch seinen Zuhörern. Denn dort wisse man die suggestive Wirkung von Literatur noch uneingeschränkt zu schätzen.

MICHAEL QUASTHOFF