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: Fußballfans und andere Gladiatoren

Rave die Antike

„Siamo noi, siamo noi“, die Meister Italiens sind wir – aus voller Kehle singt der hübsche Gladiator mit glänzendem Helm und rotem Mantel, während er sich auf seinem Vierspänner gerade hält, mitten im Verkehr des römischen Zentrums. Guckt man besser hin, sieht man einen angejahrten Ford, der die Kutsche schleppt. Drin sitzen vier schräge Typen, alle mit gelb-roten Perücken geschmückt. Ein paar Straßen taucht der nächste Gladiator auf, in wildem Ritt auf dem Mofa, eine Hand am Lenker, die andere am Handy. Und auf der Piazza del Popolo ist ein anderer antiker Held schon auf den Obelisken geklettert und entbietet den römischen Gruß, während das Volk zu seinen Füßen jubelt und den immergleichen Singsang anstimmt – „siamo noi, siamo noi . . .“

Tagelang war Rom solchermaßen im Meisterschaftstaumel, einer im antiken Geist zelebrierten Endlosparty. Nein, das imperiale Gehabe solle man bitteschön nicht missverstehen, beruhigen die Fans. Fascho-Töne? Gott bewahre. „Aò, wir wollen mit Politik nichts zu tun haben, wir wollen feiern, diese Tage sind die schönsten unseres Lebens.“ Und dazu gehört am Tiber eben die eine oder andere historische Reminiszenz. „Totti Gladiator, Totti Gladiator“, brüllen die Fans im Chor, um den Stürmerstar der Mannschaft zu preisen. Gladiator machten ja fast Karriere wie Kicker: aus dem Nichts zum Ruhm, umgeben von den schönsten Frauen. Und das als Exsklave, Kriegsgefangener oder Verbrecher. Respekt!

So viel Aufstieg können die Gladiatoren kaum erhoffen, die heute Tag für Tag rund ums Kolosseum auf Kundschaft warten. Allerdings ist ihr Risiko auch geringer: Für umgerechnet drei bis vier Mark lassen sie sich von Touristen knipsen. Kampfestugenden sind da nicht gefragt, nicht einmal ein durchtrainierter Body – Verkleiden auf Antik genügt.

Massimo, 26 Jahre alt und seit einem Jahr im Geschäft, ist tatsächlich kein Besucher von Fitnessstudios. Vorher war er arbeitslos; jetzt überlebt er, indem er Japaner mit „Ave, die Todgeweihten grüßen dich“ empfängt, den Helm schräg auf dem Kopf. Nein, über Gladiatoren wisse er eigentlich so gut wie nichts, war schließlich in der Schule kein Thema, aber „Ben Hur“ und neulich „Gladiator“ habe er sich natürlich im Kino angesehen. Guter Film, starke Geschichte, „denn das Imperium hat die Welt beherrscht!“ Dazu hatten die Vorfahren des Gladiatormodels allerdings die gar nicht vergnügliche Aufgabe, zu Hause für Volksbelustigung zu sorgen.

Wie es dabei wirklich herging, ist in der gerade im Kolosseum eröffneten Ausstellung „Sangue e arena“ (Blut und Arena) zu erfahren. Zurück zu den Wurzeln: Hier zerfleischten sich bis vor 1.700 Jahren die Kämpfer, während 80.000 Zuschauer begeistert das Geschehen verfolgten. Danach wurde das Kolosseum zweckentfremdet, als Festung, als Hort vieler Werkstätten, als Steinbruch, um schließlich nur noch Ruine zu sein. Jetzt dagegen wird die Arena zum Museum der Arena, die Wirkungsstätte der Gladiatoren zum Ort der Erinnerung an die Pechvögel, die einander zum Ruhm des Imperiums erschlagen mussten.

An die 150 Objekte aus römischer Zeit gibt es zu sehen: Fresken, Reliefs, Ausrüstungsgegenstände. Schon mit den Helmen, Brustpanzern und Knieschützern wollen die Ausstellungsmacher ein Missverständnis beseitigen. In der Arena fand kein Schauspiel kulturloser Barbaren statt. Das blutige Spektakel wurde als ästhetischer Genuss zelebriert, und die Gladiatoren hatten das zweifelhafte Privileg, höchst elegant zu ihrer Verabredung mit dem Tod zu erscheinen. Mit Skulpturen geschmückt waren ihre Waffen, mit fein ziselierten Reliefs versehen ihre Panzer. Exotische Landschaften, Palmen, Steine, Flüsse wurden ins Stadion gezaubert. Nicht nur Kämpfe, auch Kultur wurde geboten, pantomimische Auftritte zum Beispiel. Wenn es schief ging – auch gut. Als Orpheus einmal seine Euridice beweinte, gelang es ihm nicht, die Bestien mit seinem Gesang zu bezaubern. Stattdessen wurde er von einem Bären gefressen, zur allgemeinen Begeisterung des Publikums.

Unsitten von vorgestern, fern von der heutigen Zivilisation? Wenigstens ein in der Ausstellung gezeigtes Fresko aus Pompeji lässt Zweifel aufkommen. Es zeigt die Schlägerei der Gladiatorenfans aus Pompeji mit denen aus der Nachbarstadt Nocera. Es ging ganz so zu wie heute bei den Hools: Steine flogen, Messer wurden gezückt. Ziemlich modern war auch die Strafe, die über die Aufrührer verhängt wurde: zehn Jahre Stadionverbot. MARINA COLLACI

„Sangue e arena“. Rom, Kolosseum, 22. Juni 2001 bis 7. Januar 2002