: Endlich Rettung in Sicht
Nun hat auch Berlin seine STATT Partei. Sie hat zwar noch kein Programm und nur zehn Mitglieder – aber Ideen: 50.000 Handys für unerreichbare Verwaltungsbeamte und für jeden Baum einen Bürger
von PHILIPP GESSLER
Gestern hat Annette Ahme ihre Vision von Berlin vorgestellt. „Im Hopfenlager“ des Restaurants „Leopold’s Wirtshaus“ hat sie das gemacht, ein Ort krachlederner Gemütlichkeit an der Schönhauser Allee – das passt. Denn die Stadt, wie sie der 42-jährigen Historikerin, Mutter und Vorsitzenden der Gesellschaft Historisches Berlin vorschwebt, ist geprägt von einem Wort: München. Ein bisschen so wie Bayerns Hauptstadt solle die der ganzen Republik in etwa zehn Jahren werden. Und was sie damit meint, lässt sich am besten mit einem Spruch Goethes an einer Wand des „Hopfenlagers“ zusammen fassen: „Hier bin ich Mensch. Hier darf ich’s sein.“
Nun wären die Stadtvisionen von Frau Ahme nicht unbedingt so wichtig, dass man mehr darüber lesen muss – wenn die Dame nicht zugleich Spitzenkandidatin der „STATT Partei“ wäre, die sich gestern der Öffentlichkeit erstmals vorstellte. Die Gruppierung, die sich am 19. Juni gründete, versteht sich nach den Worten ihres Vorsitzenden Marius Minke als „offene Partei“, die „weder rechts noch links“ sei. Obwohl sie bisher nach seinen Angaben erst zehn Mitglieder hat, will sie bei der Abgeordnetenhauswahl im Herbst antreten: Am Sonntag um 15 Uhr sind Interessierte eingeladen, über ein Parteiprogramm zu diskutieren, das an diesem Tag auch verabschiedet werden soll. Eine Woche später wollen die Parteimitglieder ihre Kandidaten für das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen (BVVs) aufstellen.
Zu rasch? Es gebe viele Leute mit hundert guten Vorschlägen, was man an dieser Stadt verändern könne, sagt Annette Ahme – und was sie selbst für Ideen hat, kann sie auch schon sagen:
1. Die Verwaltung sei so schlecht erreichbar: Warum nicht allen Mitarbeitern ein Handy geben – 50.000 wären das wohl, spendiert womöglich von Unternehmen. Wenn alle erreichbar wären, „würde die Wirtschaft explodieren“.
2. Wenn viele Spielplätze in der Stadt sowieso eingezäunt seien, warum engagiere man dann nicht für jeden eine Betreuungskraft, damit die Mütter eine Zeit lang ihren Erledigungen nachgehen könnten?
3. Berlin brauche mehr „Wohnstraßen“, gestaltet von Einwohner-Genossenschaften. Obstbäume könnten da gepflanzt, Tennisplätze angelegt werden.
4. „Jeder einzelne Baum“ der Stadt könnte von einer Familie umhegt werden – Baumpaten also, deren Pflege effektiver sei als die der Behörden: Verantwortung gehe auf den Bürger über.
5. Die Diskussionen in den BVVs seien „unter jedem Niveau“, qualifizierte Leute fehlten: „Es ist ein Graus.“ Deshalb sollte man den dort Tätigen kein Entgelt mehr geben, denn manche lebten fast davon. Dann würden auch wieder gute, engagierte Leute mithelfen – und EDV und Laptops täten ihr Übriges.
6. Die Politiker der Stadt sollten weniger mit dem Dienstwagen („Popanz“) fahren und sich stattdessen häufiger mit Hilfe der öffentlichen Verkehrsmittel fortbewegen. Oder einfach zu Fuß gehen. Auch das Abgeordnetenhaus sei zu protzig, meint die Politikerin trotzig.
Wie Frau Ahme auf diese Ideen kam: Seit mehr als zwanzig Jahren ist sie in der Stadt – keine Veränderung seitdem: Im Einwohnermeldeamt warte man immer noch vier bis fünf Stunden, die Ampelschaltung sei wie damals mit drei Sekunden viel zu knapp, zur Theaterkasse müsse man für Tickets weiterhin zweimal, und die Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM) sei immer noch nicht verkauft.
Die Lage der Stadt, da spricht die Historikerin, sei zwar nicht ganz so wie die Brandenburgs nach dem Dreißigjährigen Krieg 1648. Aber man müsse wie damals, selbst mitten im Krieg, den Mut haben zu Investitionen und Veränderungen. Mit anderen Unzufriedenen habe sie deshalb eine „Stadt“-Partei gründen wollen. Fast per Zufall sei sie dann auf „STATT-Partei“-Leute gestoßen – man habe sich „spontan sehr gut verstanden“. Es habe sich herausgestellt, dass man „fast identische Gruppen“ habe, denen es vor allem um die „Stadtqualität“ gehe. Der „STATT Partei“ gelang es übrigens in Hamburg nach der Bürgerschaftswahl 1993 in einer „rot-grauen“ Kooperation zwei Senatoren zu stellen. Später zerstritt man sich. Doch noch heute, so der Berliner Landeschef Minke, sei man dort im Parlament vertreten. Mit einem Abgeordneten.
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