: Filzmatten aus Denker-Kemenaten
■ Bei Astrium in Bremen tüfteln Weltraumforscher am Rettungsgleiter für die Internationale Raumstation ISS: Zum Beispiel an hitzebeständige Kacheln und Matten, aber vor allem die Software für den Fallschirm des Raumgleiters
Sie basteln an beuysschen Filzmatten, tüfteln an Software, die höchstens auf einem 486er Rechner läuft und schmeißen testweise Paletten vom Himmel. Was wohl Captain Spock oder Comander Ripley zur Speerspitze der deutschen Weltraumforschung sagen würden?
Keine klinisch polierten Großräume mit intelligenten Superrechnern, sondern kaum zehn Quadratmeter kleine Container-Büros mit wackeligen Schreibtischchen und angegilbten Bildern von Kepler und Kopernikus an den Wänden. Kein Nasa-High-Tech, sondern einfachste Denker-Kemenaten in einem Zweckbau der 60er: Das ist Astrium in Bremen. Hier wird an der Vorstufe für den Mini-Raumgleiter X 38 gewerkelt, mit dem sich eines Tages Astronauten von der Internationalen Raumsta-tion ISS retten sollen. Seit fast zwei Jahren schwebt die ISS in 350 Kilometern Höhe um den Globus. Manchmal kann man die ISS sogar von Mutter Erde aus sehen. Aber eigentlich ist Europa nur Juniorpartner des größten gemeinsamen Projekts der Menschheit: Die US-amerikanische Nasa regiert die ISS, während die Europäer bislang nur eine Nebenrolle spielen. Dabei kommen immerhin 50 Prozent des ISS-Rettungsfliegers aus Europa – und davon fünf Projekte aus Bremen.
„Natürlich braucht das alles kein Mensch“ meint Hans Strauch. Seit vier Jahren programmiert er an der Steuersoftware, die den Landefallschirm des X 38 lenken soll. „Aber früher sind die Leute zu Fuß zum Nordpol gelaufen, heute leisten wir uns Metallic-Lackierung für unsere Autos: Nicht alles muss Sinn machen. Trotzdem ist es wichtig.“
Zwei Millionen Mark mal eben in den Sand gesetzt
Gerade hat Programmierer Strauch wieder einen Fehlschlag hinter sich: Der Versuch der Edwards Airforce Base in der großen Salzwüste bei Los Angeles ging schief. Wieder wurden zwei Millionen Mark in den Sand gesetzt, wieder konnte die fünfzig Jahre alte B 52 der Nasa nicht starten. Kein Huckepack-Test. Das vielleicht zehn Meter lange Versuchsmobil X 38, das sich wie ein Säugling an den gigantischen Flügel des Bombers klammert, blieb am Boden. Strauch bleibt cool: „Nächste Woche versuchen wir es wieder.“
Für US-Astronauten ist die Kapsel viel zu klein
Der X 38 hat vier Fünftel der Größe des späteren Crew Rescue Vehicles (CRW), das eines Tages mal sieben Astronauten im Notfall zurück auf die Erde bringen soll, wenn das Space Shuttle bockt. Derzeit übernimmt noch eine Sojus-Kapsel den Job des CRW. Das ist noch Technik aus der Zeit des Kalten Krieges, mit nur drei Sitzplätzen für Kosmonauten. „Mal davon abgesehen, dass die Amis nicht so abhängig von den Russen sein wollen“, meint Strauch, „ist das Ding auch viel zu winzig: Kosmonauten dürfen nur 1,75 Meter klein sein. Ein US-Astronaut ist dagegen viel größer.“
Mini-Sprengungen und die Software dazu aus Bremen
Angefangen hat Strauch 1997 mit einer Palette, die er von einem Ultraleichtflugzeug in die Einöde Mecklenburg-Vorpommerns fallen ließ. Seit November 2000 laufen die ersten Nasa-Tests, bei denen die B52 den X 38 in 12.000 Metern Höhe ausklinkt. Wie ein Stein saust der acht Tonnen schwere Gleiter im freien Fall Richtung Erde, bevor ein kleiner Zugfallschirm den eigentlichen „Parafoil“ in fünf Kilometern Höhe auslöst. Mini-Sprengungen entfalten das 680 Quadratmeter große Segel, dann kommt die Software aus Bremen zum Zuge: Sie berechnet die Kommandos für die Seilzüge aus, die den Schirm samt seiner kostbaren Fracht in sieben Minuten sicher gen Boden steuern sollen. Strauch: „Der Fallschirm ist sicher. Probleme haben wir nur mit der Elektronik.“
Dabei arbeiten die Bremer mit simpelster Technik: Damit nichts abstürzt, hat das Programm kaum drei Megabyte – ungefähr so viel Datenmenge wie zwei Minuten Musik auf einer CD. Strauch: „Unser Steuerungscomputer hat vielleicht so viel Power wie ein 486er-Rechner. Jeder 13-Jährige hat heute 'was Besseres.“ Aber: „Je einfacher, desto weniger Risiko, dass die Software streikt.“
Nur 200 Kilobyte – gerade 30 DIN A 4-Seiten Programmiercode – benötigt der fehlertolerante Rechner, der den Wiedereintritt des X 38 in die Atmosphäre steuern soll. Die Software ist auch ein Projekt aus Bremen. „Wenn wir in Kalifornien landen wollen, müssen wir auf der Höhe von Korea 120 Kilometern hoch sein. Dann ist der Gleiter noch 36.000 Stundenkilometer schnell“, sagt Astrium-Mann Axel Roenneke. Sein Programm kann verschiedene Flugbahnen berechnen: „Für den medizinischen Notfall muss der X 38 besonders sanft fliegen, für den Rettungsfall besonders schnell.“
Der echte Phoenix fliegt erst 2015
Noch läuft sein Programm paralell zur eigentlichen Steuerungssoftware der Nasa. Ob es tatsächlich eines Tages im Rettungsfahrzeug laufen wird, ist noch gar nicht völlig klar – wie die Zukunft des ganzen Projekts überhaupt.
„Die Budgets für das CRW stehen noch gar nicht“, meint Burkhard Behrens. Er ist für Teile der Außen- und Innenverkleidung des Gleiters verantwortlich: 36 Quadratmeter Filzmatten, die zwar aussehen wie die Kunst von Joseph Beuys, aber locker 1.200 Grad Wärme aushalten müssen. Immerhin wird seine Technik schon 'benutzt'. Ein echter „Spin off“ ist dagegen der Kohlenstoff-Silicium-Mix an der Nase des X 38, mit dem heute schon so mancher Porsche bremst.
Aber auch Behrens weiß, dass Weltraumforscher einen langen Atem haben müssen: Immerhin arbeitet er seit fast zwanzig Jahren an den extrem hitzebeständigen Keramikkacheln. Und: „Eigentlich wollen wir ja das Shuttle der Zukunft bauen. Der erste Demonstrator fliegt in zwei Jahren, aber der echte Phoenix vielleicht erst in 2015.“
Kai Schöneberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen