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Das richtige Maß an Augenringen

Der amerikanische Erzähler David Sedaris las bei Hugendubel aus seinem neuen Buch „Ich ein Tag sprechen hübsch“

Obwohl es ein echtes Opfer ist, bei dieser Schwüle im künstlichsten Buchladen der Stadt zu sitzen, ist die Lesung von David Sedaris seit Tagen ausverkauft. Man applaudiert heftig, als Sedaris und sein Verleger Gerd Haffmanns sich hinter die Mikros setzen und Haffmanns verkündet, Sedaris’ neues, in Deutschland im Frühjahr erschienenes Buch „Ich ein Tag sprechen hübsch“ sei in der Bestsellerliste der New York Times Book Review auf Platz eins geklettert.

Sedaris schaut gut aus. Genau das richtige Maß an Augenringen. Angenehm lakonisch liest er. Wie bereits in den autobiografischen Geschichten des Buches „Nackt“, durch das Sedaris hier vor zwei Jahren bekannt geworden ist, handeln die Geschichten in „Ich ein Tag sprechen hübsch“ von einem ziemlich unwahrscheinlichen Ich-Erzähler. Als wäre es das Normalste der Welt, reagierte dieses Ich in „Nackt“ auf seine Umwelt, indem es im Klassenzimmer Lichtschalter und Besenstiele ableckte und zu Hause Pfefferkörner zählte. Doch während der jugendliche Antiheld aus „Nackt“ diverse Jobs als halbwüchsiger Laiendarsteller, Apfelpflücker, Putzhilfe und Nudistenbeobachter annimmt und bald einsehen muss, dass er es nirgendwohin bringen wird, hat es der etwas ältere Held aus „Ich ein Tag sprechen hübsch“ sehr wohl zu etwas gebracht.

Aus der genialen Chronologie eines glanzvollen Scheiterns voller bösartiger und gleichzeitig zärtlicher Hymnen auf die Versager und Verzweifelten, die im Sieb des amerikanischen positive thinking hängen geblieben sind, hat sich bei Sedaris eine Sammlung von Geschichten entwickelt, die einen reichlich normalisierten Erzähler zeigen. Fast vollständig befreit hat er sich von seinen Ticks. Wohl versorgt lebt er in Paris und schlittert nur knapp vorbei am Künstlerklischee. Seine Geschichten bewegen sich auf ausgetretenen Wegen: Wen schert es, dass Amerikaner im Ausland glauben, keiner verstehe sie und sich in der Pariser Metro gern laut und abfällig über Einheimische mokieren? Wer will es wirklich hören, dass französische Sprachlehrerinnen sadistisch sind?

Es ist bezeichnend, dass Sedaris’ schönste Geschichte, die er an diesem Abend liest, von seinem Vater handelt, einer der stärksten Figuren aus „Nackt“. Sedaris entwirft das liebevoll herzlose Bild von einem manischen Sparer, der immer reduzierte Nahrungsmittel kaufte, weil sie schon überm Verfallsdatum waren, um sie dann zu verstecken und erst zu essen, wenn sie die Konsistenz von Katzenkot angenommen hatten.

Ekel, Abgründigkeit, Übertreibung: In Sedaris’ Welt funktioniert das, wenn er die Dinge in Nahaufnahme zeigen kann, wenn es im Hintergrund auch noch dieses geheime „Stammeszugehörigkeitsgefühl“ gibt, die schrecklich nette Familie. Es ist die Sicherheit im Rücken, die nach vorne feste treten lässt. Und da sich die Geschiche seiner Familie erschöpft hat, sollte er sich vielleicht darauf verlegen, ab sofort das Gefundene, die Pariser Alltagsbeobachtungen, aus seinen Erfindungen zu streichen.

Erst am Ende der Lesung strahlt auf, was man das Prinzip Sedaris nennen könnte, wie es in „Nackt“ funktionierte: die Erkenntnis, dass Zyniker die einzig wahren Humanisten sind. Da sagt er seinen Zuhörern, wie Leid ihm die Sache mit unserer „former first lady“ tut. Das Publikum schnaubt bloß verächtlich. Auch auf den Einwand, dass er noch nie von einer Lichtallergie gehört habe, erntet er kaum Reaktionen. Und so fragt er schließlich: „Was she loved?“

SUSANNE MESSMER

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