: „Er hat geredet und geredet“
Alkohol, Arbeitslosigkeit und Eifersucht: Der 29-jährige Mario E. erstach im Dezember seinen Lebensgefährten auf der Wohnzimmercouch. Vor Gericht gestand er gestern die Tat. Auslöser sei ein Streit über ein vergessenes Mittagessen gewesen
von KIRSTEN KÜPPERS
Wenn ein Mensch plötzlich tot ist und fehlt, gelingt es der näheren Umgebung meist lange Zeit nicht, diese Leerstelle tatsächlich zu begreifen. So geht es auch dem 29-jährigen Maler Mario E. Von seinem Lebensgefährten spricht er nur in Gegenwartsform. Also so, als ob Helmut W. noch am Leben sei: Sein Partner ist ein eifersüchtiger Mann, sagt Mario E.. Ein Trinker. Aber einer, der im nüchternen Zustand immer „lieb ist“ und „nett“. Mit diesen einfachen Worten beschrieb der Angeklagte gestern der Richterin des Landgerichts sein Opfer. Wegen heimtückischen Mordes wird Mario E. dort der Prozess gemacht. Denn im vergangenen Dezember hat er Helmut W. auf der Wohnzimmercouch der gemeinsamen Wohnung mit einem Steakmesser erstochen.
Zwei Jahre hatte er mit dem 43-Jährigen in einer Wohnung in Moabit zusammengelebt. Doch über die Liebe, die zwischen dem Paar wohl bestanden haben muss, erzählte der Angeklagte gestern wenig. Sein Lebensgefährte habe ihm geholfen, den Papierkrieg mit dem Arbeitsamt zu bewältigen. Dafür hatte er ihn wiederum von seinen Suizidgedanken ablenken können. Das klang nach einer pragmatischen Beziehung. Aber Mario E. ist kein Mann, der Gefühle in große Worte fasst. Getrunken hätten sie beide sehr viel, auch gemeinsam, meinte er gestern lediglich: „Jeder ’ne Pulle, jeden Tach.“
Anlässe für Alkohol hatte das Paar genug gefunden: kleine und große Schicksalsschläge, Arbeitslosigkeit oder einfach gute Laune. Und nachdem sich W. bei einem Strichjungen mit dem HIV-Virus infiziert hatte, gab es auch noch die Angst vor der Krankheit, die es wegzutrinken galt.
Allerdings sei es im betrunkenen Zustand dann oft zum Streit gekommen, sagte Mario E. gestern. Und so war es auch an jenem 14. Dezember gewesen. Er hatte an diesem Tag schon um acht Uhr früh die Wohnung verlassen, um mit einem Kumpel um die Häuser zu ziehen. In mehreren Kneipen seien sie gewesen, bei Freunden Geburtstag feiern, dann wieder in anderen Lokalen. Und über die vielen Schnäpse und Biere habe er das gemeinsame Mittagessen mit W. ganz vergessen.
Als Mario E. dann abends endlich nach Hause kam, war W. schon ganz außer sich vor Wut und Eifersucht. Zwar habe man sich mit Flipperspielen in einer gegenüberliegenden Kneipe wieder gegenseitig versöhnt, aber zu Hause ging der Streit dann doch noch weiter. „Er hat auf mich eingeredet und eingeredet“, schilderte Mario E. dem Gericht die Situation. Über diese Schleife immer gleicher Vorhaltungen sei er auf der Wohnzimmercouch kurz eingeschlafen. Als er aufwachte, habe sein Lebensgefährte ihn immer noch beschimpft. Daraufhin hat Mario E. das Messer genommen und zugestochen. Und wie der Angeklagte gestern der Richterin mehrmals diese knappe Bewegung im Gerichtssaal vorführte, schien es, als hoffe er, die harmlose Geste könne in der Wiederholung nun das verhängnisvolle Ergebnis jener Nacht umkehren.
Als sein Lebenspartner schließlich tot auf dem Sofa lag, habe er sich auch umbringen wollen, führte Mario W. später den weiteren Verlauf des Geschehens aus. Allerdings seien mehrere Suizidversuche in der Badewanne fehlgeschlagen. Erst dann habe er den Entschluss gefasst, die Polizei zu rufen.
Der morgens um sechs beim Tatort eintreffende Polizist fand Mario E. vor der Tür kniend vor, die Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt. Vor Gericht erinnerte sich der Beamte gestern auch, dass er schon einmal wegen eines Streits in diese Wohnung gerufen worden war. Der Prozess gegen Mario E. wird morgen fortgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen