: Schlechte Politik und Ungerechtigkeit geben schlechte Noten
Durchschnittseinkommen, Lebenserwartung und Bildungsstand sind die Kriterien, aus denen das UN-Entwicklungsprogramm seine konkreten Politikempfehlungen ableitet
BERLIN taz ■ Neben den Empfehlungen für die Politik ist der „Index für die menschliche Entwicklung“ (Human Development Index – HDI) jeweils Kern des seit 1990 erscheinenden Berichtes des Entwicklungsprogrammes der Vereinten Nationen (UNDP). Im Unterschied zum „Weltentwicklungsbericht“ der Weltbank, der sich an ökonomischen Kerndaten orientiert, versucht UNDP, den Grad der menschlichen Entwicklung in den verschiedenen Ländern nach Lebensdauer, Wissen und angemessenem Lebensstandard zu bewerten. Herangezogen werden Daten über Lebenserwartung, Bildungsstand – als kombinierte Berechnung von Alphabetisierungsgrad und Schulbesuchsquote – und Pro-Kopf-Einkommen.
Unter den bewerteten 162 Ländern steht Norwegen an erster Stelle, gefolgt von Australien und Kanada, Sierra Leone auf Platz 162. Deutschland nimmt den 17. Platz ein, die USA den sechsten.
Dabei sind es zum Teil Einzelfaktoren, die den Platz eines Landes in der Rangliste entscheidend mitbestimmen. Ein Beispiel: Das Durchschnittseinkommen von Luxemburg ist fast doppelt so hoch wie das von Finnland, doch während dort mehr Menschen Bildungsstätten besuchen, als es Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter gibt, gehen in Luxemburg nur drei Viertel der Schulpflichtigen tatsächlich in die Schule. Luxemburg steht demzufolge auf Rang 12, Finnland auf Rang 10.
Die letzten 28 Stellen nehmen afrikanische Länder ein – und es ist vor allem die durch HIV/Aids gesunkene Lebenserwartung, die auf den Index drückt. In mehr als 20 afrikanischen Ländern ist die Lebenserwartung in den Jahren zwischen 1985–1990 und 1995–2000 gesunken, in einzelnen, wie etwa Botswana, sogar um zehn Jahre. Das Erdöl exportierende Angola ist mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 3.179 Dollar einkommensstärker als Ecuador, doch eine Lebenserwartung von nur 45 Jahren und ein Alphabetisierungsgrad von nur 42 Prozent lassen das Land auf dem 146. Rang landen, während Ecuador mit einer Lebenserwartung von fast 70 Jahren und einem Alphabetisierungsgrad von 91 Prozent auf Rang 84 steht.
Es sind solche Beispiele, aus denen UNDP die konkreten Politikempfehlungen und die Anklage einer mangelnden staatlichen Organisation ableitet. Die letzte Spalte in der UNDP-Länderstatistik berechnet den Rang eines Landes ausschließlich nach Einkommen minus einem dem HDI aus – ein hoher Wert weist auf gelungene Politik und relativ hohe Verteilungsgerechtigkeit hin, ein negativer Wert auf mangelnde Partizipation der Bevölkerung am nationalen Reichtum, der in diesen Fällen meist durch hoch konzentrierte Exportwirtschaft erzielt wird. Die HDI-Einstufungen zeigen, so UNDP, „dass Länder nicht erst auf den wirtschaftlichen Aufschung warten müssen, um Fortschritte bei der menschlichen Entwicklung zu machen“. Costa Rica und Südkorea etwa sind beim HDI etwa gleich eingestuft – Costa Rica hat dieses Niveau jedoch mit der Hälfte des Einkommens von Korea erzielt. So betont der Bericht nachgerade das Primat der Politik gegenüber der Ökonomie.
Der Bericht nennt auch Länder, die trotz weltweit steigender HDI-Tendenz eine negative Entwicklung durchlaufen haben. Die Entwicklung in Sambia etwa ist auf den Stand hinter 1975 zurückgefallen, die Russische Föderation hinter den Stand von 1980 – genau wie Simbabwe, das 1980 unabhängig wurde. Südafrika ist hinter den Stand von 1990 zurückgefallen, als das weiße Regime mit dem Abbau der Apartheid begann.
Beim Einkommen öffnet sich die Kluft zwischen armen und reichen Ländern weiter: Das Pro-Kopf-Einkommen in Afrika lag 1960 bei einem Neuntel dessen der Industrieländer – 1998 war es auf ein Achtzehntel geschrumpft. Sogar in Ostasien, der weltweit am schnellsten wachsenden Region, hat sich die Differenz gegenüber den Industrieländern der OECD vergrößert.
In einem weiteren Index bewertet UNDP zum Beispiel seit 1995 auch geschlechtsspezifische Ungleichheiten der Entwicklung: So liegt in 43 Ländern die Alphabetisierungsrate bei Männern mindestens 15 Prozent höher als bei Frauen. Dabei weisen einige Entwicklungsländer bei der Gleichstellung von Frauen bessere Daten auf als manche Industrieländer: So liegen Italien und Japan hinter den Bahamas und Trinidad und Tobago.
Nicht ohne Stolz verkünden UNDP-Mitarbeiter, dass ihre Methodik seit der ersten Abfassung des Berichtes 1990 immer weitere Verbreitung gefunden habe. Selbst die Weltbank, der große Konkurrent, rücke inzwischen von der ausschließlichen Bewertung ökonomischer Wachstumsziffern ab.
BERND PICKERT
Der Bericht ist zu beziehen beim UNO-Verlag, Tel: 02 28-9 49 02-0, Fax: 02 28-9 49 02-22. UNDP im Web: http://www.undp.org
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