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Das quietschende Käthchen

Manfred Meihöfer inszeniert sein Kleist-Potpourri mit Gummitieren am Neuen Museum

„Lieber Gott, halte deine Erde fest“ – mag sein, hier funktioniert das sogar. Das „Schlachtfeld der Lüste“ drängt sich auf einem sandigen Areal, aus dem hier und dort ein abgetrennter Arm ins Leere ragt oder in den ein blasses Schenkelstück gerammt wurde. Ungeziefer macht sich über eine Leiche an der Rampe her. Im Hintergrund stapeln sich Paletten zu Tälern und Hügeln, am Horizont grenzen die Kunststofftannen des Teutoburgers Waldes blinkend an ein Feldlazarett. Hänge und Flächen sind bunt übersät von den Heerscharen des Ensembles. In engster Nachbarschaft hüllt eine Stadtplan-bedruckte Spieldecke die Bühne in Landschaft. Dort dreht Kunigunde am tiefgefrorenen „kleinen Wannsee“ ihre einsamen Rittberger; später wird am Ufer der efeubekränzte Prinz von Homburg sein Lager im Liegestuhl aufschlagen.

Das „Vereinigte Gummitierensemble“ spielt Heinrich von Kleist im Griechischen Hof des Neuen Museums. Genauer: Der Schauspieler Manfred Meihöfer inszeniert mit sich und seiner liebevoll arrangierten, vielköpfigen Sammlung die dramatischen Höhepunkte Kleist’scher Hauptwerke: „Zone/Kleist“ ist ein Beitrag zum Museumsinsel-Theaterprogramm „Götterleuchten“, das sich selbst mit „Wenn Mythos Alltag ist ...“ bewirbt, einem drohenden Halbsatz à la Barthes. Ja, wenn – dann ist uns das noch gar nicht aufgefallen.

Jedenfalls nicht, bevor dieser mit sehr alltäglichem Spielzeug voll gepackte Plastikpark unterm kathedralenhohen Glasdach zu leben und zu atmen beginnt. Anfangs dauert es sehr lange, bis Meihöfer eine große Schwimmspinne aufgeblasen und über seinen Sandkastenkosmos hat kriechen lassen, bis der wuselnde, quiekende Chor – Meihöfer dreht und quetscht jedes Köpfchen – herzzerreißend-heiser „Ach Gott, ach Gott!“ geflüstert und schließlich Gott selbst, ein Fußball mit hämischer Grinsefratze, dem Jammer mit zynisch gackerndem Gelächter ein Ende bereitet.

Dabei tut Meihöfer dies ganz offensichtlich nicht allein zum Ergötzen originalitätssüchtiger Spaßtheaterfans, sondern mit der Hingabe des Darstellers, der für ein Weilchen eine ganze Welt zum Leben erweckt. Aus vier der meistgespielten Dramen des preußischen Dichters hat er Schlüsselverse und Brennpunktszenen kompiliert, dem möglicherweise aufkommenden Best-of-Effekt aber durch ein ziemlich kompliziertes Ineinanderschneiden der Handlungen entgegenarbeitet. Eben brüllt die beinlose Lockenbarbie in der Rolle der Agnes Schroffenstein „Zu Hülfe! Hülfe!“ und entgeht nur knapp dem aufgedrängten Selbstmord, da stürzt auch schon Käthchen von Heilbronn, eine gerupft ausschauende Figur, von der Liebe schwer getroffen hinab zum Grafen Wetter vom Strahl, einem mopsigen Schweinchen Schlau.

Rührend ist das, tragisch und grotesk. Diese hochkonzentrierte Kleist-Zone, in der man abwechselnd die Puppen und den stimmgewaltigen Puppenspieler vergöttern muss, schließt mit Knall und Fall und Rio Reiser. Auf dem Weg ins Freie geht man an Museumsmagazinen mit drachenhaften Pferden aus Stein vorbei: Die haben einen beim Reinkommen doch nicht so komisch angesehen. EVA BEHRENDT

„Zone/Kleist“, bis 28. 7., Di./Do. und Sa./So.: 21.00 Uhr; Griechischer Hof/ Neues Museum (Eingang Bodestraße, Baustelleneinfahrt)

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