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Der Solarpirat

Arno Paulus bietet Kreuzfahrten mit einem Solarschiff an. Dabei zeigt der „glückliche Erwerbslose“ Photovoltaik-Anlagen und ärgert sich über Schleusenwärter. Sein großer Traum aber heißt Ägypten

von RICHARD ROTHER

Auf dem Wasser ticken die Uhren anders: langsamer, ruhiger – ein Segen für gestresste Großstadtseelen. Kleine Wellen schwappen an die steinernen Ufer, Enten schnappen nach Brotkrumen, und ab und an taucht ein Fisch auf. Wer die Hektik der Stadt verlässt und sich in die Schluchten der Berliner Kanäle begibt, findet sich in einer anderen Welt. Die Welt von Arno Paulus, von Berufs wegen Solarpirat. Seit einem Jahr betreibt er mit drei Mitstreitern ein Sonnenenergie-angetriebenes Boot, auf dem bis zu zwölf Personern durch Berlin schippern können. Und zwar nicht nur, wenn die Sonne scheint. Das Boot kann gemietet werden; und in diesem Jahr hat sich die Crew etwas Neues ausgedacht: Sie bietet eine Wasser-Rundtour durch die Solarstadt Berlin. Von Spree und Landwehrkanal aus zeigt Paulus interessierten Gruppen, die für vier Stunden Rundfahrt 400 Mark hinblättern, verschiedene Solarprojekte der Hauptstadt. Zum Beispiel die neue Photovoltaik-Anlage auf der Konzerthalle Arena in Treptow.

Trotz des des stolzen Rundfahrtpreises können Paulus und Kollegen nicht von dem Charterschiff leben, das im Kreuzberger Urbanhafen vor Anker liegt. Die 185.000 Mark Anschaffungskosten für das zehn Meter lange Edelstahlboot müssen irgendwie wieder aufgebracht werden, das Boot und Generatoren müssen gewartet, Aufträge an Land gezogen und Kosten abgerechnet werden. Für den 50-jährige Paulus, ein „glücklicher Erwerbsloser“, ist das Leben am Rande des Existenzminimums kein Problem. Der ehemalige Architekt, Busunternehmer und Kneipier, der sein Dasein mittlerweile der Sonnenenergie verschrieben hat, lebt seit Jahren von Arbeitslosenhilfe. „Das betrachte ich als Existenzgeld“, sagt Paulus, der sich jahrelang für das BVG-Erwerbslosenticket engagiert hat. Es sei besser, wenn die Leute „etwas Vernünftiges mit ihrer Zeit machen, als irgendwelchen Billigjobs hinterherzuhetzen“.

Paulus macht etwas Vernüftiges. Er zeigt, dass man auch ohne schwere, rußende Dieselmotoren viel Spaß auf dem Wasser haben kann. Sein 2,8 Tonnen schweres Boot tuckert mit maximal zehn Stundenkilometern vor sich hin – wenn nicht gerade eine Schleuse im Weg ist. Dann muss Paulus viel Zeit mitbringen, weil die beamteten Schleusenwärter die großen Touristenkähne bevorzugen. „Aber was soll man schon von Leuten erwarten, die eine Jammer-Ha fahren?“, fragt Paulus und zeigt auf eine aufgemotzte Yamaha, die neben dem Schleusenwärterhäuschen steht. Zwischen den Solarpiraten und den Schleusenwärtern herrscht so etwas wie ein privater Kleinkrieg. Zwar sind die Schleusenbeamten verpflichtet, jedes ankommende Boot durchzuschleusen – nur wann, das ist die Frage.

Probleme mit den Schleusenwärtern hat an diesem schönen Sommertag auch ein Punkerpärchen, das mit Kind und Kindl im Schlauchboot zur Schleuse zwischen Schlesische Straße und Spree paddelt. Sie warten schon eine halbe Stunde, und als sie endlich in das Riesenbecken dürfen, das sie 40 Zentimeter tiefer legt, herrscht sie eine unfreundliche Stimme durch einen Uraltlautsprecher an: „Bisschen Beeilung mit die Paddeln bitte, Dampfer wartet schon!“

Paulus bietet der Kleinfamilie mit den bunten Haaren an, ihr Boot mitzuschleppen. Piratensolidarität. Paulus mag Leute wie das Punkerpärchen, das auf der nahen Wagenburg an der Treptower Lohmühlenstraße wohnt. Denn da gibt es eine Solaranlage und ein Freiluftkino, das an schönen Sommerabenden Filme wie „Eat the Rich“ zeigt. Überhaupt seien die Armen in der Welt und die Sozialhilfeempfänger in Berlin bessere Menschen als Yuppies und so genannte Leistungsträger. „Die verbrauchen viel weniger Energie und produzieren weniger Kohlendioxid.“

Ideologische Berührungsängste zu den „Klimakillern“ hat Paulus dennoch nicht. Vor einigen Tagen hat eine Stewardess mit ihren Bekannten Geburtstag auf seinem Boot gefeiert. „Die lag am Nachmittags am Kanal in der Sonne, hat angerufen, ob ich am nächsten Tag frei sei.“ War er, und die Stewardess ist zwischendurch nach Malta und zurückgeflogen.

Wenn im Urbanhafen die Schwäne schlafen, träumt Kapitän Paulus von der weiten Welt. Wie jeder Seemann. Paulus träumt nicht ganz zu Unrecht. Wenn alles klappt, wird er im Winter sein Schiff nach Dubai einschiffen.

Dann präsentiert er am Persischen Golf sein spaciges Boot, das im Schwarzwald produziert wurde, auf einer Solartechnikausstellung. Schließlich könnte es am Rand der Wüste einen Bedarf dafür geben. Der große Traum aber heißt: Ägypten. Auf dem Rückweg will Solarmissionar Paulus ein paar Monate den Nil hochschippern. Da gibt es viel Sonne und keine deutschen Schleusenwärter.

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