: Mehr darf man nicht erwarten
Wer Glück hat, bekommt Wellblech. Salvador de Jesús Martínez hatte Pech. Er baut sich eine Unterkunft aus Plastikplanen und fügt sich seinem Schicksal
aus Verapaz und TecolucaTONI KEPPELER
Verapaz glitzert in der Sonne. Die Hütten, die dort stehen, sind funkelnagelneu. Zusammengeschraubt aus silbern glänzenden Wellblech-Platten. Zwischen Wänden und Dach bleibt ein Spalt, damit wenigstens etwas Luft und Licht ins Innere kommen. Trotzdem steigen die Temperaturen in der prallen Mittagshitze auf über 60 Grad. Die Menschen sprechen von „Backöfen“. Es ist alles, was sie haben. Und manche haben nicht einmal das.
Von den 2.000 Lehmziegel-Häuschen, in denen die Bewohner von Verapaz vor einem halben Jahr noch wohnten, haben die Erdbeben vom 13. Januar und 13. Februar nur 20 übrig gelassen. Das erste Beben war draußen im Pazifik. Verapaz kam glimpflich davon. Der Vulkan Chinchóntepec, hinter dem das Dorf liegt, fing die Wucht der zerstörenden Kraftwellen ab. Nur wenige Häuser stürzten zusammen. Die meisten kamen mit leichteren Schäden davon. Doch beim zweiten Beben, genau einen Monat danach, lag das Epizentrum wenige Kilometer vom Dorf entfernt. Von Verapaz blieb nur eine Steinwüste übrig.
Noch immer liegen Trümmerhaufen in den Straßen. An den Ruinen wird gehämmert und geklopft. Alles, was beim Bau einer neuen Behausung nützlich sein kann, wird gerettet: Eisenträger, Balken, Türen. Die Blechhütten heißen offiziell zwar „provisorische Übergangsunterkünfte“, mit denen die Obdachlosen über die bis Ende Oktober dauernde Regenzeit gebracht werden sollen. Doch die Bewohner richten sich auf einen längeren Zeitraum ein.
Das Gelände rund um die Hütte wird geputzt und als Vorgarten angelegt. Man zieht Abflusskanäle für das Regenwasser. Wer es sich leisten kann, stellt die Wände auf einen Betonsockel. Einzelne Häuser wirken fast schon wie in einer Feriensiedlung: Im Schatten von uralten Bäumen, mehr als 100 Quadratmeter groß, aufgeteilt in verschiedene Zimmer, mit überdachter Küche im Freien und, ein paar Schritte entfernt, einer Latrine. Doch viele hausen noch immer zwischen Ruinen unter einer Plastikplane. Soziale Unterschiede werden von Erdbeben nicht eingeebnet.
Die Regierung hat für jede obdachlos gewordene Familie umgerechnet 400 Mark an die Bürgermeisterämter überwiesen. Damit sollten die Trümmer weggeräumt werden. Danach sollten alle Blech und Bauholz für eine Einheitshütte bekommen. Salvador de Jesús Martínez bekam weder Geld noch Baumaterial. „Im Bürgermeisteramt hat man mir gesagt, ich sei gar kein Erdbebengeschädigter, weil ich nichts verloren habe“, erzählt der 70-jährige Campesino.
Das Haus, in dem er wohnte, fiel am 13. Februar genauso zusammen wie alle anderen. „Ich wollte gerade hineingehen und nach der Bibel suchen, weil ich mich an einen schönen Vers erinnert hatte. Da kam mir auch schon die Mauer entgegen.“ Das Haus gehörte Martínez nicht. Er wohnte dort zur Miete. Er weiß nicht, ob die Besitzer Geld und Baumaterial bekommen haben. Er jedenfalls hat nichts gesehen.
„Als ich das erste Mal beim Bürgermeister war, hieß es, es sei gerade kein Material da. Ein paar Tage später habe ich gesehen, wie ein Laster kam mit Wellblech-Platten. Da bin ich wieder hin. Und da sagte man mir, das sei für Leute, die ihr Haus verloren haben.“ Er ging wieder, ohne sich zu beschweren. Denn er weiß längst, dass Beschwerden sinnlos sind.
Das war auch so, als er sich vor ein paar Jahren ein Stück Land gekauft hatte. Keine zwei Hektar waren es. Aber es hätte ihm zum Überleben genügt. Einen Teil der Ernte für den Eigenbedarf, der andere zum Verkauf, damit Geld für das Nötigste im Haus ist. Dann hätte er nicht mehr für andere aufs Feld gehen müssen.
Zwei Jahre lang war das auch so. Dann wollte ein Großgrundbesitzer das Land von Martínez. „Aber ich habe bis heute nicht verkauft. Es ist das Einzige, was ich besitze.“ Doch der Großgrundbesitzer hat allen umliegenden Boden gekauft und so die Parzelle von Martínez eingeschlossen. Seither verwehrt er dem Alten den Zutritt zu seinem Land. Der Campesino ging zwar zum Bürgermeister, um sich zu beschweren. Aber dieser erklärte ihm, El Salvador sei ein freies Land und jeder könne mit seinem Eigentum machen, was er wolle. Seither beschwert er sich nicht mehr und arbeitet mit seinen 70 Jahren wieder für einen anderen.
„Mein Patrón ist sehr großzügig“, sagt er. „Er hat mir nach dem Beben ein Stück Boden im Garten eines seiner Häuser gegeben und gesagt, da könne ich bleiben und eine Hütte bauen. Das Holz dafür durfte ich von den Bäumen schlagen. Die Plastikplane fürs Dach hat meine Tochter gekauft.“ Zum Bürgermeister ist er nicht mehr gegangen. „Ich wollte nicht immer nur bitten und betteln. Das war mir peinlich.“
Tecoluca liegt auf der anderen Seite des Vulkans. 80 Prozent des Städtchens wurden beim ersten Erdbeben zerstört. Beim zweiten Beben einen Monat später stürzten nur noch solche Häuser ein, die schon vorher unbewohnbar waren. Die Trümmer sind längst weggeräumt. Auch in Tecoluca dominiert heute Wellblech. In der Straße vor dem Rathaus wurde ein provisorischer Markt aus den silbernen Platten gebaut. Und wie in Verapaz wurden die sozialen Unterschiede nicht eingeebnet.
Don Mauricio Alvarenga besitzt heute die Ruine eines einstmals schönen kolonialen Landhauses, mit Gesindetrakt und Stallungen und allem, was dazugehört. „Hier ist schon mein Großvater geboren“, sagt der Viehzüchter, der nebenbei noch ein Waffengeschäft in der Hauptstadt besitzt. „Ich werde es wieder genau so aufbauen, wie es vorher war.“ Er lädt ein, in den Hof zu kommen, wo die Familie in einem riesigen Zelt wohnt. Der Fernseher läuft, die Tochter arbeitet am Computer. Im Garten liegen Zementsäcke und Hohlblock-Steine. Der Arkadengang an der Hinterfront des Hauses ist schon rekonstruiert.
Das Wellblech, das Don Mauricio von der Gemeinde bekommen hat und das bei anderen Familien für eine ganze Hütte reichen musste, hat er für den Bau eines provisorischen Küchentrakts verwendet. Schon morgens um zehn bietet er Whisky aus der Gallonenflasche an. Er kenne auch die Situation in Verapaz, sagt er. „Schlimm.“ Der Bürgermeister dort habe es nicht leicht. „Ich kenne ihn. Ein Parteifreund von mir. Ein guter Mann.“ Alvarenga ist Ortsvorsitzender der rechten Regierungspartei Arena. Tecoluca wird seit 1994 von der ehemaligen Guerilla der FMLN regiert.
„Sie wissen, dass ich die Roten nicht mag“, sagt der Viehhändler. „Aber was der Bürgermeister nach den Erdbeben getan hat – alle Achtung.“ Nach wenigen Wochen seien die Trümmer weg gewesen. Alle bekamen dieselbe Ration an Wellblech und Bauholz. „Selbst diejenigen, die in Miete gewohnt hatten.“ Die Gemeinde habe denen sogar ein Stück Land gegeben, und demnächst beginne dort eine europäische Hilfsorganisation mit dem Bau von richtigen Steinhäusern. „Den Leuten wird es besser gehen als vor dem Beben“, sagt Alvarenga. Fast klingt es so, als sei er ein bisschen stolz auf seinen roten Bürgermeister.
Salvador de Jesús Martínez denkt nicht einmal in seinen kühnsten Träumen daran, dass ihm irgendjemand ein Haus aus Stein schenken könnte. „Warum soll mir jemand etwas schenken?“, fragt er, schiebt sich den Sombrero zurück und blickt mit wässrigen Augen in den Himmel. „Gott hat mir das Leben geschenkt. Schon viele Male. Zuletzt am 13. Februar. Wenn dieses Beben in der Nacht gekommen wäre, wären wir alle tot. Aber Gott war gnädig mit uns.“ Mehr darf man nicht erwarten.
Der Alte richtet sich ein unter seiner Plastikplane. Er glaubt auch nicht, dass die anderen jemals wieder Häuser aus Stein bauen werden. Verapaz, sagt er, wird so bleiben, wie es jetzt ist: Eine Siedlung aus Wellblechhütten und improvisierten Zelten. Bis zu seinem Ende. Und das komme bald. Er zeigt hinauf zum Chinchóntepec: „Dieser Berg wird explodieren. Und er wird uns alle verschütten.“
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