piwik no script img

Spotlights aus Afrika: Am Sklavenufer

Für die Tuareg ist die Zweiteilung der Gesellschaft in „Noble“ und „Sklaven“ bis heute von zentraler Bedeutung

Ein halbes Jahr reiste taz-Korrespondent Peter Böhm quer durch Afrika, von Ost nach West, von Somalia bis Senegal. Als Ziel hatte er sich gesetzt, keinen Meter mit dem Flugzeug zurückzulegen. In unserer Serie berichtet er heute zum letzten Mal von unterwegs.

Eigentlich wollte ich nur wissen, wem die Herde Kühe gehört. Der Mann kam aus seinem niedrigen Nomadenzelt hervor und sagte in verbindlichem Tonfall: „Das sind die Kühe von uns allen: den Tuareg, den Songhai und den Sklaven.“ Ich war nicht sicher, ob ich richtig gehört hatte. Er hatte das letzte Wort ohne jegliche Emotion ausgesprochen. Ich wiederholte: „Das sind die Kühe der Tuareg, der Songhai und der – Sklaven?“ „Genau“, bestätigte er ohne Ironie oder Häme.

Dass der Targi so selbstverständlich von Sklaven sprach, hat mich am Anfang sehr gewundert, aber dann bin ich noch ein zweites Mal zu den Tillamedess, am Ufer des Niger, 25 Kilometer südwestlich der malischen Stadt Timbuktu, gefahren. Und jetzt wundere ich mich nicht mehr.

Alle sprechen hier ohne erkannbar schlechtes Gewissen von iklan einem Wort der Tuaregsprache, das nur mit „Sklave“ übersetzt werden kann. Wie viele Völker der Wüste und der Sahelzone machten die Tuareg Jagd auf schwarze Stämme und hielten sie sich als Sklaven. Diese sind oft schon so lange bei den Tuareg, dass sie nichts mehr über ihre Herkunft wissen und Sprache und Kultur der Herren angenommen haben.

Um eine Tuaregfamilie lebten typischerweise mehrere Iklanfamlien, die das Vieh hüteten und die Hausarbeit erledigten. Nicht die Politik der Kolonialmacht Frankreich und auch nicht jene der malischen Regierung machten dieser Praxis schließlich ein Ende, sondern die große Dürre von 1973, als die Herden der Tuareg in Massen starben. Sie reichten nicht mehr, um die bellah – ein weniger abwertendes Songhai-Wort für die Sklaven – zu ernähren. Sie gingen deshalb in die Stadt oder gründeten eigene Siedlungen.

Aber die Tuareggesellschaft hängt dieser großen Zeit nach, als die Nomaden noch das Gesetz machten. Und so sprechen sie von sich, den „Noblen“, und von ihren „Sklaven“. Obwohl die paar Bellahfamilien, die den Tillamedess geblieben sind, im rechtlichen Sinn natürlich keine Sklaven sind. Es steht ihnen frei, zu gehen, und sie werden für ihre Arbeit mit Milch und Reis entlohnt. Sie sind Dienstboten, Hausangestellte, die sich ihrer Rechte nicht bewusst sind. Wie man sie in Afrika eigentlich überall findet. Nur dass die Erinnerung an die Zeit der hellhäutigen Herren und der schwarzen Sklaven bei den Tuareg diesem Verhältnis etwas Frivoles gibt.

Die Dichotomie in Sklaven und Noble ist für die Tuareggesellschaft von zentraler Bedeutung geblieben. Wer die Arbeit von Sklaven erledigt, das heißt körperliche Arbeit, ist eben ein Sklave, erklärte mir Aliasid Ag Ahmed, der die Tillamedess im Rat der Gemeinde Toya vertritt und den ganzen Tag eigentlich nur herumlag. Und sie scheint auch im größeren Rahmen zu gelten. In scherzendem Ton erklärte er mir, meine Zustimmung erheischend, Frankreich und Deutschland seien noble Länder. „Aber die USA sind eine Nation von Sklaven.“ Ich schätze, dass das irgendwie mit der Haltung dieser Länder im Nahost-Konflikt zu tun haben muss. Ich habe nicht mehr nachgefragt.

PETER BÖHM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen