: Mit Spitzhacken gegen die Polizei
Bei den schlimmsten Straßenschlachten seit mehreren Jahren sind in Belfast hunderte Menschen verletzt worden. Die Verhandlungen über den Fortgang des Friedensprozesses in Nordirland stehen im Zeichen eines tiefen Pessimismus
aus Dublin RALF SOTSCHECK
Mehr als hundert Polizisten wurden vorgestern bei Krawallen in der nordirischen Hauptstadt Belfast verletzt. Ein Beamter erlitt einen Schädelbruch, nachdem er von einer Spitzhacke getroffen wurde. Anlass für die Zusammenstöße waren die Paraden des protestantischen Oranier-Ordens, der am 12. Juli den Sieg Wilhelm von Oraniens über seinen katholischen Widersacher und Schwiegervater Jakob II. in der Schlacht am Boyne feierten. Mit diesem Sieg vor 311 Jahren sicherte Wilhelm die protestantische Thronfolge in Britannien.
Die Polizei versuchte, einer Parade den Weg am Rand des katholischen Ardoyne-Viertels in Belfast frei zu machen. Dort war es seit zwei Wochen immer wieder zu Straßenschlachten gekommen, weil protestantische Jugendliche die Zufahrt zu einer katholischen Grundschule blockierten. Die Anwohner sahen in der Parade entlang ihres Viertels deshalb eine Provokation. Rund 250 von ihnen griffen die Polizei mit Molotowcocktails und Säurebomben an, mehrere Autos gingen in Flammen auf. Die Polizisten feuerten etwa 40 Plastikgeschosse ab und setzten Wasserwerfer ein, die sie sich in Belgien geliehen hatten. Polizeichef Ronnie Flanagan sprach von den „schlimmsten Krawallen“, die er je erlebt habe.
Auch in anderen Orten Nordirlands kam es zu Straßenschlachten, die jedoch glimpflicher abgingen. Die zuständige Regierungskommission hatte mehrere Märsche umgeleitet, die durch katholische Viertel führen sollten. Der Oranier-Orden hat deshalb vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage eingereicht. Im Zentrum Belfasts brach innerhalb der Oranier-Parade zur Verblüffung der Polizei eine Schlägerei zwischen zwei rivalisierenden Kappellen aus, die erst nach Stunden geschlichtet werden konnte.
Die Krawalle von Ardoyne engen den Spielraum des Unionistenchefs David Trimble weiter ein. Er war am 1. Juli als nordirischer Premierminister zurückgetreten, weil die Irisch-Republikanische Armee (IRA) noch immer nicht mit der Ausmusterung ihrer Waffen begonnen hat. Die IRA macht eine umfassende Reform der fast ausschließlich protestantischen Polizei und den Abbau der britischen Truppenpräsenz in Nordirland zur Vorbedingung. Ihren Waffenstillstand stellt sie aber nicht in Frage.
Die Verhandlungen um einen Weg aus der Sackgasse wurden gestern Nachmittag wieder aufgenommen. Seit Montag tagten der britische Premier Tony Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern mit Vertretern der nordirischen Parteien in Weston Park in der englischen Grafschaft Shropshire. Wegen der Oranier-Paraden wurden die Gespräche vorgestern unterbrochen.
Die beiden Parteien der protestantisch-loyalistischen Paramilitärs boykottieren die verhandlungen. Sie waren am Montagabend nach Hause geschickt worden, doch vorgestern lud Blair sie erneut ein. Beide Parteien lehnten ab, weil sie in ihrer Teilnahme keinen Sinn mehr sehen. Der einflussreiche Großmeister der Oranier-Logen, Robert Saulters, forderte auch David Trimble auf, umgehend aus Weston Park abzureisen. „Es ist Zeit, die Sache zu beenden“, sagte er. „Tony Blair kann niemanden mit seinen Scheinverhandlungen hinters Licht führen. Wenn die Unionisten ein bisschen Mumm hätten, wären sie alle längst vom Verhandlungstisch weg.“ Saulters fordert eine „wahrhaft demokratische Regierung“ für Nordirland – ohne Beteiligung von Katholiken.
Bei den Verhandlungspartnern herrscht tiefer Pessimismus. Um die IRA zur Abrüstung zu bewegen, müsste Blair Zugeständnisse machen. Allzu weit kann er dabei aber nicht gehen, will er nicht Trimbles Kopf riskieren. Der Unionistenchef wird ohnehin von den Hardlinern im eigenen Lager beschuldigt, bereits zu viele Kompromisse eingegangen zu sein. Trimbles Widersacher in der eigenen Partei, Jeffrey Donaldson, führte die Parade in Dunmurry an, einem Vorort von Belfast. Bei der Kundgebung sagte einer der Oranier-Chefs: „Wir beten für Donaldson, damit er endlich mit Trimbles Willensschwäche Schluss macht. Wir brauchen Jeffrey, um sicherzustellen, dass er nicht noch mehr nachgibt.“ Donaldson sagte: „Es wird keine Regierung mehr mit Sinn Féin und IRA geben, wenn sie nicht ihre illegalen Waffen abgeben. Basta.“
Bis zum 12. August haben die Befürworter des Belfaster Abkommens vom Karfreitag 1998 Zeit. Wenn bis dahin keine Lösung gefunden wird, muss das nordirische Regionalparlament neu gewählt werden – oder das Belfaster Abkommen wird auf Eis gelegt, das Parlament aufgelöst und der Friedensprozess als gescheitert erklärt.
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