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Erster Schritt zur Versöhnung

Erstmals sitzen Vertreter der Türkei und Armeniens in einer Kommission an einem Tisch. Doch nicht nur die Last der Vergangenheit steht einer Annäherung entgegen

ISTANBUL taz ■ Erstmals seit Gründung der Republik Armenien 1991 haben sich jetzt prominente Türken und Armenier zu direkten Gesprächen getroffen, um über die Voraussetzungen für eine Versöhnung zwischen den beiden Ländern zu reden. Wie die türkische Presse berichtete, trafen sich fünf Armenier und fünf Türken im März in Wien und in der vergangenen Woche erneut in Genf. Die Vertreter beider Länder sind nicht von ihren Regierungen geschickt.

Allerdings gehören auf beiden Seiten ehemalige Außenminister und Diplomaten im Ruhestand dazu, die noch in engem Kontakt zu ihrer Regierung stehen. Organisiert werden die Treffen vom „Henry Dunant Centre für humanitären Dialog“, eine Organisation, die Versöhnungsgespräche in Burundi und Indonesien initiiert hat.

Im Anschluss an das Treffen in Genf ging die Gruppe mit ihrer Initiative erstmals an die Öffentlichkeit. Ilter Türkmen, ein früherer türkischer Außenminister, sagte: „Es ist das erste Mal, das jetzt ein strukturierter Dialog stattfindet.“ Die Gruppe hat sich als türkisch-armenische Versöhnungskommission konstituiert und hofft, das Verständnis zwischen den beiden Völkern zu verbessern. „Wir sind an einem Wendepunkt“, meinte Ilter. Ein anderes Mitglied der türkischen Gruppe, der frühere US-Botschafter Nuzhet Kandimir dämpfte allzu große Erwartungen. Die Treffen seien eine positive Entwicklung, aber im Grundsatz seien die Positionen beider Seiten unverändert.

Den Anstoß zu den Treffen hatten vor allem die erfolgreichen Bemühungen der armenischen Diaspora zur weltweiten Anerkennung des Völkermords an den Armeniern in der Endphase des osmanischen Reiches gegeben. Auf Drängen der armenischen Diaspora hatten im letzten Jahr das europäische Parlament und die französische Nationalversammlung Entschließungen verabschiedet, in denen sie den Völkermord an den Armeniern beklagten. In der Türkei wird dagegen bis heute bestritten, dass die Ermordung, Vertreibung und Umsiedlung der Armenier ein Völkermord gewesen sei. Erst vor wenigen Wochen hatte das türkische Parlament feierlich den Bericht einer offiziellen Historikerkommission begrüßt, der erneut die offizielle türkische Position darlegt.

Ein weiteres Hindernis für eine Normalisierung der türkisch-armenischen Beziehungen ist der anhaltende Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach. Als enger Alliierter der Aseris muss Ankara auf Baku Rücksicht nehmen und will deshalb offizielle Kontakte zu Armenien erst nach einem Friedensschluss zwischen Aserbaidschan und Armenien aufnehmen. Mit Besorgnis haben deshalb die Türkei, aber auch die USA, Frankreich und Russland auf eine neue Verschlechterung des Klimas zwischen den beiden verfeindeten Ländern reagiert. Trotz des Treffens der beiden Staatschefs Haidar Aliyew und Robert Kotscherejan vor zwei Monaten in Florida habe die Kriegsrhetorik zugenommen. Das Gerede von einem neuen Waffengang sei unverantwortlich. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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