: Befangenheit im Sprechen
Auf Deutsch könnte er nicht schreiben: Der Lyriker und Übersetzer Michael Hofmann lebt seit seinem fünften Lebensjahr in England. Zurzeit ist er Berlin-Stipendiat des Literarischen Colloquiums Berlin
von CHRISTIANE TEWINKEL
Michael Hofmann lehnt sich vor und sagt: „Mein Vater wollte mich nicht haben.“ Das „haben“ klingt sehr hell, der Satz rinnt aus. Hofmann hat eine weiche Stimme. „Das muss man doch verstehen“, sagt er, „ich habe ihn viel Zeit gekostet, und er wollte mich gesichert wissen.“ Unten auf dem Wannsee ziehen Segelboote feine Kreise. Die Gartentische hinterm Haus des Literarischen Colloquium sind noch ganz nass vom Regen.
Wenn es um sein Leben geht, fängt Michael Hofmann nicht bei sich selbst an. Der Augenblick geht rasch vorüber, in dem ich fürchte, dass hier die intime Geschichte einer Familie ausgebreitet wird. Hofmann ist so ruhig, wie es jemand ist, der das alles seit Jahrzehnten durchdacht hat. Wenn Hofmann also von seinem Vater erzählt, auf Deutsch, mit einem leichten Akzent, den zuzuweisen schwer fällt, dann kann man diesem Erzählen trauen. Seine Eltern stammen aus Sachsen. Michael Hofmann wird 1957 in Freiburg geboren, vier Jahre später bekommt der Vater eine Anstellung beim DAAD als Außenlektor. Die Familie zieht nach Bristol/Westengland, später dann nach Edinburgh, New Haven, Berkeley und wieder Edinburgh. „1971“, sagt Hofmann, „war das Annus mirabilis, oder horribilis, wie man’s nimmt.“ Das Ende der Familie auf jeden Fall. Der einzige Sohn ist vierzehn und bekommt ein Stipendium für Winchester, eines der berühmtesten englischen Colleges, der Vater zieht nach Ljubljana. Der Rest der Familie wird in Klagenfurt ansässig. Sofort entfremdet sei er gewesen, sagt Hofmann. Da weiß ich wieder nicht, wie das zu nehmen ist. Aber es ist gar nicht zu nehmen. „Es war auch ein Jux, in England zu bleiben“, sagt Hofmann nämlich, „ein Beispiel dafür, dass das Leben nicht so abgesteckt ist.“
Nach der Zeit in Winchester geht Hofmann nach Cambridge und studiert dort Anglistik. Als dann 1979 die Prosakarriere des Vaters, Gert Hofmanns, beginnt, dieser zum ersten Mal wieder veröffentlicht, erscheint auch das erste Gedicht des Sohnes: „Tea for My Father“. Heute gilt Michael Hofmann als einer der besten englischsprachigen Dichter der Gegenwart. Er lebt in London, übersetzt und lehrt halbjährig in Gainesville/Florida, doch vor allem schreibt er Gedichte, frei metrisch, reimlos, ungeheuer fein gearbeitet, die auf kleinstem Raum Blicke auf ein ganz besonderes Leben gewähren. Oder einen ganz besonderen Blick auf das Leben? Dass es zumeist detailliert auskomponierte, verdichtete Momente der eigenen Biografie sind, in denen der Vater noch immer eine große Rolle spielt, tut wenig zur Sache. Hofmann täuscht erst gar nicht vor, dass er an ein lyrisches Ich übergibt. „Katechismus“, heißt eines der eben von Marcel Beyer übersetzen Gedichte: „Mein Vater lugt ins erhellte Wohnzimmer / und fragt: Bist du da? . . . Ja, bin ich, / in einem seiner weißwolkigen Ledersessel, / den einen Fuß nicht allzu ungehörig auf dem Tisch, / und lese Horváths Jugend ohne Gott. Mehr sagt er nicht, / verschwindet wieder, rätselhaft und unansprechbar, / der Unsichtbare, wie er sich ausblendet.“
Der Vater hat ihm nicht nur erste Schreibversuche durchgesehen, sondern auch viel vorgelesen. „Mein Deutsch“, sagt Hofmann, „ist das eines kleinen Kindes, das Thomas Mann gelesen hat.“ Das hört man ihm kaum noch an. Was man stattdessen spürt, ist eine ganz eigenartige Vorsicht und Befangenheit im Sprechen. Auf Deutsch könne er niemals schreiben, sagt Hofmann und wechselt ins Englische: „I don’t represent anything in German.“ Seine Söhne, acht und zehn Jahre alt, sind ganz und gar englisch. Auch er liest ihnen vor, „Tom Sawyer“ zum Beispiel.
Als Übersetzer von bisher dreißig Romanen hat Hofmann die Not und Lust, zwischen den Sprachwelten zu wandern, fruchtbar gemacht. Die eben erschienene zweisprachige Gedichtausgabe „Feineinstellungen“ zwingt die Leserin zu Zickzackläufen: zwischen dem Deutschen und Englischen, Vater und Sohn, Hofmann und Beyer. Was Beyer geleistet hat, sind selten haargenaue Übersetzungen. Für Hofmann war das genau richtig. Die Arbeit mit Beyer habe ihn auch daran erinnert, nicht zu schnörkelig zu schreiben. „Englisch“, sagt Hofmann, „ist eine fintenreiche, hinterlistige Sprache, der man nicht vertrauen kann.“ Aber nun möchte er doch einmal Englisch sprechen. Ich bitte ihn darum. Da wechselt Hofmann die Sprache. Und auf einmal scheint sich seine ganze Gestalt zu spannen, aufzuwachen, die Stimme glänzt. In England ist er längst berühmt.
Michael Hofmann und Marcel Beyer lesen heute im Literarischen Colloquium Berlin, Am Sandwerder 5, Wannsee
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