: Unter Raubtierseelen
Was bringt eine junge Gastgeberin nur dazu, Wörter wie „zubereiten“ zu verwenden? Diese und noch viel mehr Fragen klärt Martin Amanshausers in bösartigem Duktus gehaltener neuer Roman „Nil“
von TANJA DÜCKERS
Wir befinden uns in Österreich, nicht in Ägypten, durch die Stadt Wien lassen wir uns treiben, und wir schwitzen wie Goldgräber, denn es ist ein famos heißer Sommer. Wenn wir meinen, einen Zahlendreher entdeckt zu haben, haben wir uns geirrt: Wir befinden uns im Jahr 2010. In dieser nahen Zukunft, in der Martin Amanshauser in seinem neuen Roman „Nil“ die Handlung angesiedelt hat, stehen gerade Nationalratswahlen bevor: Fiona, 21, Glatze, politisch links, versucht ihr Leben zwischen flippigem Zeitgeistjournalistentum, manischem Hobbyfotografieren, Männerbeäugen (auf Distanz) und dem Leben in der „Geisterstadt“ unter einen Hut zu bringen.
„Geisterstadt“, damit ist Fionas Wohnung gemeint, in der sie noch bis vor kurzem mit drei Familienmitgliedern wohnte und die sie nun, unfreiwillig, allein bewohnt. Vor ein paar Jahren stürzte eine Maschine der Lauder Air ab: Fionas Eltern waren unter den Fluggästen. Ihre Zimmer haben ihre Schwester Tanja und sie nie geräumt, alles blieb beim Alten. Tanja, die ältere Schwester, zog aus, um sich, wie die neidische Schwester vermutet, „wieder dem Geschlechtsverkehr zu widmen“, denn in die „Geisterstadt“ hatte sie keinen einzigen Liebhaber einladen wollen.
Über Männer hat Fiona keine gute Meinung. „Männer“, so lässt Amanshauser seine junge Protagonistin sinnieren, „haben Raubtierseelen. [...] Auf der Straße habe ich manchmal den Eindruck, jeder Einzelne von ihnen ist eine Bedrohung. Doch wenn man sie kennen lernt, sind sie meist erschreckend harmlos.“
Während Fiona noch über ihre absurden Gespräche mit ihrem Therapeuten nachdenkt, wird es auf einmal spannend in ihrem Leben in der Warteschleife: Sie soll eine pikante Nacktfotoreihe über einen führenden Politiker des Landes machen. Dafür wird Fiona in einer Sauna in eine schmale Kammer gehievt, von der aus sie ihre Opfer betrachten kann, umgekehrt aber nicht gesehen wird.
Der Leser wird an dieser Stelle Ähnlichkeiten mit real existierenden österreichischen Politikern nicht für zufällig halten, und das sollen sie auch nicht sein. In frivolen Witz gepackt, ist der Roman als ein weiterer Versuch der österreichischen Intellektuellen zu verstehen, auf die Veränderungen in ihrem Land zu reagieren. Ob es sich bei dem in skandalträchtigen Posen fotografierten Politiker wirklich um den „richtigen“ handelt, behält der Autor für sich. Fiona und ihre Gegner, die ihr das „heiße Material“ zu rauben gedenken, wissen nicht, ob sie nicht auch gelinkt wurden.
Wie auch schon in seinem Roman „Erdnussbutter“ (1998), geht Amanshauser nicht gerade schonend mit seinem Personal um; er entlarvt jede Verhaltensweise in ebenso boshafter wie amüsanter Weise – just als Fiona ihre Schwester wieder für sich entdecken will, trifft Tanja auf Adalbert, den schicken „Web Application Designer“, den die Glatzenträgerin verachtet: Er sei einer jener „Männer, die ihre Partnerinnen in Einfamilienhäusern zu psychischen Wracks mit Nachwuchs umformen“. Nachdem Tanja ihr mit engelhaftem Gastgeberlächeln zuraunt: „Adalbert hat Ziegenkäsestrudel zubereitet . . .“, sinniert Fiona über den silbrigen Glanz in seinen Haaren: „Manchmal überlege ich, ob dieser dumme Glanz in seinen Haaren meine Schwester dazu verleitet hatte, Worte wie ‚zubereitet‘ zu verwenden.“
Besonders bemerkenswert ist die Souveränität, mit der Amanshauser aus der Perspektive einer Frau schreibt. Schon in „Erdnussbutter“ treten die für ihn typischen „starken Frauen“ auf: Sie kleiden sich burschikos, duellieren sich mit Männern auf verschiedenen Ebenen, rauchen Nil, schwadronieren über Popmusik – und doch entwirft Amanshauser keine eindimensionalen Figuren. Fiona, die Heldin, sinniert ebenso sensibel wie kämpferisch über das Schicksal ihrer bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Eltern, sie kritisiert sich selbst, amüsiert sich darüber, dass sie bei Banalitäten anfängt zu weinen, bei ernsthaften Liebesverlusten aber nicht. Man könnte sagen, diese Frauen seien weniger männlich als androgyn: Sie reflektieren ihre Gefühle, kämpfen in entscheidenden Momenten mit dem Kopf statt mit der Knarre weiter, geben sich in überraschenden Momenten verletzlich.
Dabei hält Amanshauser Distanz zu seinem Personal – er ist wohl einer der wenigen jungen Autoren, der auf Lesungen nicht mit der Frage „Ist das autobiografisch?“ belästigt werden wird. Die Ironisierung jeder Person lenkt den Blick ab vom Autor.
Der Roman bewegt sich spielerisch zwischen den Genres Politthriller, Frauenroman und Satire – wenn man das Buch aus der Hand gelegt hat, fängt man in den nächsten Stunden unbewusst an, Gespräche in einem ähnlich bösartigen Duktus zu führen. Das Buch hat gewirkt.
Martin Amanshauser: „Nil“. Deuticke Verlag, Wien 2001, 188 Seiten, 27 DM
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