PLUTONIUMDIEBSTAHL AUF RUSSISCHEM NIVEAU
: Der Doppel-GAU von Karlsruhe

Erinnert sich noch jemand an den Plutonium-Skandal von 1994? Damals hatten der Bundesnachrichtendienst und das Landeskriminalamt Bayern über dunkle Kanäle ein paar Waffenhändler dazu gebracht, für etwa eine halbe Milliarde Mark 363 Gramm dieses radioaktiven Stoffes aus Moskau nach München zu schmuggeln. Der Coup flog auf, es gab einen Skandal, einen Untersuchungsausschuss, einen Prozess, der dem BND „Tatprovokation“ vorwarf, und die Bestätigung, dass den Dunkelmännern vom Geheimdienst nicht zu trauen ist.

Der aktuelle Fall des Plutoniumdiebstahls in der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe lässt einen dagegen fast wünschen, es stecke ein Geheimdienst hinter der Aktion. Zu vernichtend ist ansonsten das Zeugnis für die Sicherheitsvorkehrungen. Bisher wurde gerade auch von der deutschen Atomgemeinde mit dem Finger auf Russland gezeigt: Marode Anlagen, unterbezahlte Arbeiter, die Mafia allgegenwärtig, da könne ja alles passieren. Jetzt ist es in einer ach so hoch gesicherten deutschen Atomanlage passiert. Dabei enthüllt der Fall, von dem man noch sehr wenige Details kennt, einen doppelten Sicherheits-GAU: Erstens waren die Kontrollen so lasch, dass das Reagenzglas mit Plutonium unbemerkt aus der Anlage gelangen konnte. Ohne ein Geständnis des Täters wären Betreiber und Atomaufsicht noch nicht viel weiter. Und zweitens gibt es unter all den hoch qualifizierten Personen, die nach Angaben der Atomwirtschaft in unseren Atomkraftwerken arbeiten, offensichtlich einen Menschen, der nichts dabei findet, eine der gefährlichsten Substanzen der Welt einfach mitgehen zu lassen. Das Zeug mit nach Hause zu nehmen und sich und seine Familie damit zu verstrahlen zeugt von grenzenloser Dummheit oder kalter Skrupellosigkeit. Beides keine Attribute, die man von Beschäftigten in so sensiblen Bereichen erwartet. Aber so sind Menschen nun einmal.

Dass Atomanlagen sicher sind, wird gern erzählt und gern geglaubt. Eine Lüge ist es trotzdem. Den „menschlichen Faktor“ als Fehlerquelle auszuschließen, hat die Industrie vergeblich versucht – nicht nur beim Atom. Menschen machen Fehler. Aber sie dürfen nicht die Chance haben, sie mit Plutonium zu machen. BERNHARD PÖTTER