Nach den Gewittern

Das Zen, der See und die heiteren Wahlverwandtschaften: In Rudolf Thomes Film „Paradiso – Sieben Tage mit sieben Frauen“ feiert ein Komponist seinen sechzigsten Geburtstag mit allen Ehemaligen

von KATJA NICODEMUS

Es gibt in diesem Film einen Augenblick, in dem alles stimmt, weil alles eins ist: Ein Mann geht frühmorgens den Weg von seinem Haus hinunter zum See. Er hat zwei Gießkannen dabei, die er am Ufer absetzt. Dort blickt er aufs Wasser, wo der Dunst der blauen Stunde mit dem Himmel verschwimmt. So verharrt er eine Weile reglos. Mit diesem Bild könnte Rudolf Thomes Film beginnen oder auch schon zu Ende sein, und wahrscheinlich ist auch Adam (Hanns Zischler) in diesem Momen alles egal. So erschütternd egal, wie die Welt nur in den Sekunden eines unglaublich friedlichen Gleichgewichts sein kann, das sich manchmal nach Gewittern und anderen entladenden Ereignissen einstellt.

Nach diesem Zen-artigen Zustand wird Thomes Film immer wieder streben. Zum Beispiel wenn Adam, der Komponist ist, davon träumt, eine Musik zu schreiben, „die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereint“. Zu seinem sechzigsten Geburtstag hat dieser Mann alle Frauen eingeladen, die ihm in seinem Leben wichtig waren, so als wolle er seinen Frieden machen mit einer Biografie und ihrer wellenförmigen Grundbewegung des Liebens, Betrügens und Verlassens.

Sieben Frauen und ein Mann an einem malerischen See in Mecklenburg-Vorpommern, das hört sich an wie eine abgeschmackte Schäferszene irgendwo zwischen Blaubart und Monet’schen Picknicks, Bildungsbürgernippes und Potentatenfantasien. Tatsächlich aber hat die rudelhafte Versuchsanordnung außer ihrem Titel („Paradiso – Sieben Tage mit sieben Frauen“) und den bis zum Anschlag mythologisch aufgeladenen Namen (Adam, Eva, Lulu, Lilith, Berenice) nichts Aufgesetztes. Vielleicht weil Thomes Film ansonsten gar nicht nach der Bedeutung der sieben Tage sucht, von denen er erzählt. Natürlich entsteht mit der Begegnung der Frauen und Geliebten eine plötzliche Gleichzeitigkeit verschiedener Lebensabschnitte, die ganz beiläufig auch von der Flüchtigkeit der ganzen Leidenschaftelei erzählt. Genauso wie alte Eifersüchte zwischen ehemaligen Rivalinnen, die beide längst einen anderen haben, etwas angenehm Albernes bekommen. So tritt der Anlass des Treffens – die Tatsache, dass man zufällig mal den gleichen Mann geliebt hat – zunehmend in den Hintergrund.

Thomes Film stellt sich dieser Kontingenz nicht nur, er zelebriert sie geradezu, bis daraus eine neue Verbindlichkeit entsteht: die absolute Gegenwart einer Begegnung und ein geradezu utopisches Auskosten des einzelnen Moments. Getragen von einer heiteren Wahlverwandtschaft gleitet sein Film mit der Sommergesellschaft einfach so dahin, von Frühstück zu Picknick zu Abendessen zu Spaziergang. Natürlich gibt es auch alte Aggressionen, und einmal wird Adam sogar von einem Asthieb niedergestreckt. Aber dann scheint sich auch alles wieder in der Landschaft zu verlieren, durch die man die Geburtstagsgesellschaft manchmal nur pünktchengroß in der Ferne wandeln sieht.

Dass Thomes Film dabei die Nonchalance bewahrt, liegt vor allem an zwei Frauen, die gewissermaßen Alpha und Omega von Adams Weiberheldenkarriere darstellen. Berenice, die Erste, ist inzwischen Nonne geworden. Sie wird gespielt von Irm Hermann, die ja ohnehin immer auf so kunstvolle Weise neben sich steht, dass man ihr sogar das anfängliche Gebet für den Weltfrieden abnimmt. Einmal tauscht sie die Schwesterntracht gegen ein Abendkleid aus, um mit Hanns Zischler einen kleinen Swing aufs Parkett zu legen. Thome filmt diese kurze, ausgelassene Szene aus der Distanz, als wolle er der alten Vertrautheit der beiden die Diskretion lassen. Neben dieser keuschen Schwesternhaftigkeit steht die erotische Souveränität von Adams gegenwärtiger Gefährtin. Cora Frost spielt Eva mit der tranceartigen Schwebe einer Frau, die sich ihres Begehrtseins sicher ist. So sicher, dass sie alle Ehemaligen zu sich bitten kann, mit dem liebevoll-nachsichtigen Gestus einer Mutter, die diesen ganzen Kindergeburtstag organisiert hat.

Frost ist schon da, bevor die anderen kommen, und sie wird noch da sein, wenn alle wieder weg sind. Zwischen diesen beiden Frauen, die das Prinzip des „Alles oder nichts“ jeweils auf ihre Weise gelöst haben, wirkt Hanns Zischler manchmal wie ein verträumter kleiner Junge, der auf seinem eigenen Geburtstag zu Gast ist.

Am Ende dieser Sommerutopie bleibt man auch als Zuschauer mit einer merkwürdigen Melancholie zurück. Dass kurz vor dem Abspann und quasi im Off schnell noch ein Kind entsteht, wirkt da nur mehr wie eine kleine kreatürliche Barriere gegen die Vergänglichkeit.

„Paradiso – Sieben Tage mit sieben Frauen“. Regie: Rudolf Thome. Mit: Hanns Zischler, Irm Hermann, Cora Frost, Sabine Bach u. a. Deutschland 1999, 102 Minuten