Erhabene Momente

Die Ausstellung „Mensch Telefon“ im Post- und Telekommunikationsmuseum  ■ Von Christian T. Schön

„Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“ und „Die Sonne ist von Kupfer“. Mit diesen Worten demons-trierte der deutsche Schulmeister Johann Philipp Reis im Jahre 1861 die Funktionstüchtigkeit des ersten Telefons – lange vor seinen Konkurrenten Elisha Gray und Graham Bell; letzterer machte bekanntlich später das Rennen.

Die Ausstellung Mensch Telefon im Post- und Telekommunikationsmuseum und vor allem der brilliante Katalog erzählen die Geschichte dieser Erfindung kurz, um sich dann auf die soziologischen, praktischen und künstlerischen Aspekte dieses Mediums zu konzentrieren.

Das Telefon hat die menschliche Kommunikation revolutioniert, und das unsichtbare, räumlich ferne, akustisch nahe Gesprächsgegenüber ist heute noch eine seiner Eigenheiten, die wir gleichzeitig schätzen und verabscheuen. Anfangs, 1881, nur für Fabrikanten und Behörden und in zweiter Generation für Gastwirte und Hoteliers lukrativ, zog es in den breiten gesellschaftlichen Alltag erst in den Zwanziger Jahren ein – vorbehaltlich für wohlhabende Bürger. Und mit Tarifstaffelungen und einem Begriffswirrwarr von N-, XP- und R-Gesprächen stand es der Telekom schon damals in nichts nach.

Es erscheint unvorstellbar, dass sich Liebende bis in die 70er nicht nächtelang süße Botschaften in die Ohren säuseln konnten. Denn erst dann kam der Boom, der bis Ende der 90er jedem Haushalt einen Apparat bescherte (1962/63 waren es nur 14 Prozent). Nur in der damaligen DDR mussten die Menschen über zehn Jahre auf einen Anschluss warten, länger noch als auf ein Auto: „Den Anschluss kriegen wir doch nie.“

Wider Erwarten setzte die „mobile Revolution“ jedoch nicht erst mit der Handy-Invasion ein, sondern begann bereits 1926: Dem „öffentlichen beweglichen Landfunkdienst“ verdanken wir den schönen Begriff „Zugtelefonie“ – Telefonieren vom Zug aus.

Mit dem Telefon zieht aber auch ein neues Statussymbol ein, vorrangig in die Werbung: der erfolgreiche Geschäftsmann, die junge Frau und der bürgerliche Nachwuchs im Kinderfotoalbum – alle präsentieren sich mit dem Hörer am Ohr. Telefon bedeutet Erfolg!

Auch Film und Kunst eignen sich das neue Kommunikationsmedium rasch an: In der Malerei ersetzt das Telefon zuerst den (symbolisch ins Bild gebrachten) Brief und wird schließlich zum unmittelbaren Symbol von Technokratie und Kommunikation, wie in Otto Dix' düsterem Gesellschaftsportrait An die Schönheit (1922), Salvador Dalís politischem Kommentar Der erhabene Moment (1938) oder Joseph Beuys' Dosentelefon (1974).

Eine Linie, die sich in der Kunst bis in die Gegenwart fortsetzt: Wie zum Beispiel in Christian Marclays grandiosem Kunstfilm Telephones (1995), in dem aus Filmklassikern herausgesampelte Telefonierges-ten zu sehen sind. Daneben hängen Kinoplakate zum Thema sowie ein buntes Sammelsurium von Fundstücken aus Telefonzellen.

Ausstellung und Katalog bieten ein breites Spektrum: Er reicht von Berichten über die Telefonseelsorge über Telefonsex bis zum Telefon in Literatur und Cartoon (Original-Zeichnungen von Franziska Becker und TOM). Der lesenswerte Beitrag „Für Juden verboten!“ entlarvt die absurde deutsche Bürokratie im Dritten Reich.

Viele private Ausschnitte wie Telefonkritzeleien und die amüsante Geschichte auf dem Anrufbeantworter „von Frauke und Jonas“ („Es gibt Qualm!“) ergänzen diese lebendige und gegenwärtige Soziologie des Telefonierens.

Trotz der räumlichen Enge erzählen die Ausstellungsmacher diese Geschichten übersichtlich und mit vielen Fotos und Original-Anschauungsobjekten, aber auch mit spitzbübischem Witz: In einer Vitrine liegt neben den neusten Handy-Modellen ein täuschend echtes Ur-Handy – aus Stein. In einer anderen paaren sich Wählscheibe und Mettwurst zu einem ironischen Kommentar: Zur Veranschaulichung des Telefonierens mit Wählscheibe wurde am Apparat die Nummer eines Wurstfabrikanten in Hildesheim angegeben, der über die ständigen Probeanrufe nicht erfreut gewesen sein soll. Die Geburtsstunde von Gabi Mustermann?

bis 26. August, Museum für Kommunikation, Gorch-Fock-Wall 1, Katalog 36 Mark