: Um Kioto ist es nicht schade
Bush ist der erklärte Buhmann in der internationalen Klimapolitik. Doch sollten sich die engagierten Länder von Amerika emanzipieren und einfach eigene Bündnisse schließen
Klimakonferenzen gleichen Abrüstungsverhandlungen. Wer erinnert sich nicht? Damals im Kalten Krieg saßen sich, in Wien oder Genf, sowjetische und amerikanische Unterhändler gegenüber, feilschten vor der gebannten Welt um die Reduktion von Vernichtungswaffen, flogen ihre Präsidenten ein, um die Füllhalter zu zücken – und auf beiden Seiten ging die Aufrüstung munter weiter. Man war damals schon gut beraten, in dieser Kluft zwischen Rhetorik und Realität keinen Misserfolg, sondern den Kern der Sache zu sehen.
Ähnlich bei Klimaverhandlungen. Hier wird so getan, als ob die Rettung des Klimas auf dem Spiele stünde, während es doch eher um die Rettung des fossilen Entwicklungsmodells geht. Denn seit bald zehn Jahren versuchen die USA (mit Hilfe von Kanada und Australien) die Quadratur des Zirkels: Klimapolitik zu betreiben, ohne eine Veränderung im eigenen Land angehen zu müssen. Letztendlich stand die amerikanische Diplomatie treu zur Rio-Konferenz von 1992, doch nicht zur Klimakonvention, sondern zum Diktum von Präsident Bush dem Älteren, dass der amerikanische Lebenstil nicht verhandelbar sei.
Wenn das Kioto-Protokoll scheitert, dann scheitert ein fauler Kompromiss aus Minderungszielen und Schlupflöchern. Um den Prozess mag es schade sein, um den Kompromiss nicht. So könnte sich nach dem Rückzug der USA die Klimapolitik von ihrer Fixierung auf Kosten befreien. Denn dem Protokoll ist die geradezu metaphysische Überzeugung eingeschrieben, dass jede Reduktion von Treibhausgasen eine gewaltige Last darstellt. Mit Inbrunst wird da – von allen Vertragsparteien – am Normalmodell der energiehungrigen Wirtschaftsentwicklung festgehalten, obwohl schon vielfach demonstriert wurde, dass ein energieschlanker Kurs nicht nur kostengünstiger ist, sondern auch mit einem Mehr an Gemeinwohl einhergehen könnte. Zieht man indes die ganzen Nebengewinne in Betracht, dann kann man großzügiger auf einen postfossilen Pfad setzen, ohne jeden Schritt mit anderen Ländern zu verrechnen. Nur in fossiler Optik ist die Atmosphäre ein knappes und daher umkämpftes Gut. Für einen regenerativen Wirtschaftsstil ist sie langfristig kein begrenzender Faktor und muss deshalb nur lose bewirtschaftet werden. Ob Windkraft oder Solarenergie: Emissionen entstehen bei ihnen nicht.
Doch selbst wenn man den Kioto-Tunnelblick einmal hinnimmt, der nur den fossilen Sektor ins Auge fasst: Auch dann hängt nicht alles an Bush. Ja, er hat sogar Recht mit seiner Forderung, auch die Schwellenländer in die Pflicht zu nehmen, zum Klimaschutz beizutragen. Damit stellt sich jedoch ein Gerechtigkeitsproblem, das die Europäer für sich selbst beantworten müssen, auch wenn Bush sich dem Kioto-Protokoll verweigern sollte. Denn die Fairness zwischen Nord und Süd wird sich als der wahre Flaschenhals der Klimaverhandlungen erweisen.
Schließlich steht der Norden in ökologischer Schuld, ist er doch für über 80 Prozent der seit dem Jahre 1800 zusätzlich akkumulierten Emissionen und für 61 Prozent der gegenwärtigen Emissionen verantwortlich.
Wer soll welchen Anteil am global begrenzten Umweltraum für Emissionen bekommen? Dies ist die Schlüsselfrage jenseits von Kioto. Denn letztendlich haben alle Erdenbürger das gleiche Recht, die Atmosphäre zu nutzen. Sie ist ein gemeinschaftliches Gut, auf das niemand Eigentumsrechte anmelden kann, obwohl ein jeder an ihr teilhat. Langfristiges Ziel sollte daher sein, dass die zulässigen, global verträglichen Emissionen pro Kopf berechnet werden. Das bedeutet: Damit der Süden die gleichen Entwicklungschancen hat, die der Norden seit Kolumbus wie selbstverständlich für sich beansprucht, müssen die Industrieländer über Jahrzehnte ihre Emissionen so reduzieren, dass sie ein global verträgliches Niveau erreichen – während den Entwicklungsländern umgekehrt ein Anstieg der Emissionen erlaubt würde, solange sie jenes global verträgliche Niveau nicht überschreiten.
Allerdings gibt es keinen Grund für die Südländer, weiter nur als Zuschauer an der Seitenlinie zu stehen und zu warten, bis der Norden sich sortiert. Denn Fluten und Dürren, Veränderungen in der Vegetation und im Wasserzyklus, sowie Malaria und Denguefieber werden in erster Linie die südliche Hemisphäre treffen – und dort die Verwundbarsten, nämlich jenes Drittel der Menschheit, das direkt von der Natur lebt. Fischer in Kerala, Viehzüchter in Tansania, Reisbauern in Bangladesh werden in ihrem Lebensunterhalt, ja manchmal in ihrem Überleben bedroht. Fixiert auf den Kampf um wirtschaftliche und politische Macht scheinen die Eliten im Norden wie im Süden gewillt, ungezählte Überlebenswirtschaften in den ärmeren Teilen der Welt ihrem Schicksal zu überlassen. Von daher werden die Südländer offensiver auftreten müssen, wenn sie die Lebensrechte ihrer Einwohner garantieren wollen.
Alle Augen richten sich auf Europa. Es braucht freilich die Ratifizierung in Russland und Japan. Falls allerdings dafür der Vertrag von Kioto weiter durchlöchert werden muss, sollte das Projekt eines global beschlossenen und universal verbindlichen Klimavertrags zurückgestellt werden. Stattdessen könnte sich die Vernunft auch durch proaktive Bündnisse durchsetzen.
Nichts hindert Europa (und die Südländer), Kioto zu ratifizieren, obwohl die völkerrechtliche Verbindlichkeit fehlt. Vor allem aber könnte Europa auf eine Klimaallianz mit Südländern setzen. Denn warum soll es nicht, analog zur europäischen Einigung, auch im Klimaprozess unterschiedliche Geschwindigkeiten geben? Ganz wie in den Fünfzigerjahren die Einigung Europas von sechs Staaten in Gang gesetzt wurde, so könnten engagierte Länder zur Kerngruppe für ein ökologisches und gerechtes Klimaregime werden. Und ganz wie die Sechs damals die Kluft zwischen Kriegsgewinner und Kriegsverlierer überbrückt haben, so könnte Europa auf eine Klimaallianz mit Südländern setzen, um sie zu fairen Bedingungen einzubeziehen.
So eine Pioniergruppe würde eine Architektur der Kooperation aufbauen, die auf drei Fundamenten ruht: erstens, die Selbstverpflichtung, Emissionen auf ein nachhaltiges Niveau zurückzuführen; zweitens, dies in langfristiger Konvergenz hin auf gleiche Emissionen pro Kopf zu tun; und drittens, diesen Pakt durch enge Zusammenarbeit abzustützen, was finanzielle Reparationen einschließt. Es könnte sich eine Art „ökologischer Commonwealth“ formen, der als Schrittmacher wirkt und für Neuzugänge jederzeit offen ist. Eine solche Initiative braucht Führerschaft, aber könnte es nicht sein, dass die Berufung Europas im 21. Jahrhundert weder im Wirtschaftlichen noch im Militärischen, sondern in einer Ökologie aus kosmopolitischem Geist liegt? Schließlich fielen auch die Abrüstungsgespräche in sich zusammen, als sich die Sowjetunion entschloss, einseitig aus der Aufrüstungsspirale auszusteigen. Noch allerdings wartet die Welt auf einen ökologischen Gorbatschow. WOLFGANG SACHS
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