piwik no script img

Ganze Tage auf der Autobahn

„Wir werden behandelt wie Ausländer“, klagt Jörg, der Busfahrer. Schon an der deutsch-schweizerischen Grenze dauern die Kontrollen stundenlang

von HEIKE HAARHOFF

Berlin Alexanderplatz, Mittwochnachmittag, 17 Uhr. Eine Mutter bringt ihr Kind zum Bus. Die Mutter trägt Kostüm, das Kind sich mit der festen Absicht, einen Weltwirtschaftsgipfel zu verhindern. Genua, Italien, heißt das Reiseziel. Sonntag will das Kind zurück sein. Aber ganz sicher ist das nicht. 100.000, viel-leicht 200.000 Demonstranten werden bei den Kundgebungen gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der acht mächtigsten Industrienationen erwartet. Im Vorfeld gabe es Briefbomben und Verletzte in einer italienischen Polizeistation und in einem Fernsehsender, der dem Konzern des italienischen Regierungschef gehört. Die Stimmung sei aufgeheizt, heißt es, die Hafenstadt gleiche einer Festung.

Da kann eine Mutter schon mal darauf bestehen, ihr Kind wenigstens sicher in den Bus zu setzen, auch wenn das Kind 20 oder mehr Jahre alt ist. Schließlich geht es hier nicht um einen Generationenkonflikt. „Sogar meine Oma hat angerufen und viel Glück gewünscht“, erzählt die Anja, eine Studentin, die zum Berliner Bündnis gegen den G-8-Gipfel gehört. Zum Treffpunkt durfte Anja dann aber doch allein gehen und macht sich jetzt daran, den Gepäckraum zu füllen: Rucksack, Transparente, Zelt, Isomatte und Wasserflaschen, als rücke sie zu einem Survival-Training in der Sahara aus. Allmählich füllt sich der Platz. 100, 120, 150 Personen. Die drei Busse, die von Berlin aus aufbrechen, sind bald voll. Nur mit der Presse weiß man nicht recht, was anfangen. Sie muss mit, notgedrungen, immerhin hat man den Journalisten Fahrkarten verkauft, und an den Grenzübergängen könnte ihre Präsenz nützlich sein. Aber keiner will sie bei sich sitzen haben. Schließlich gewährt die „Bezugsgruppe Taxi“ um Anja, Basti, Sascha, Uwe und Monika Asyl.

18.45 Uhr. Abfahrt. Skatkarten werden ausgepackt, aus dem Kassettenrekorder kommt Deutschrock. Basti verspricht, dass das Unterhaltungsprogramm sich im Laufe des Abends steigern wird: „Wir haben die Möglichkeit, Video zu schauen.“ Im Angebot: „Die Geschichte über die antikapitalistische Bewegung“, das BBC-Video über die Proteste gegen das IWF-Treffen vergangenes Jahr in Prag, sowie, Basti legt zur Spannungssteigerung eine Kunstpause ein, „das legendäre Video-Showdown in Seattle“. Einzige Einschränkung an Bord: keine Drogen, kein Alkohol. „Wir wollen sicherstellen, dass wir bei uns sind, wenn wir in eine Polizeikontrolle kommen.“ Zustimmendes Gemurmel.

Wie man Ärger umgeht

Nur Jörg, der Busfahrer, ist noch nicht ganz zufrieden. Die Anti-G-8-Transparente im Bus, findet er, sollten besser eingerollt werden. Sicher ist sicher. „Ich kann damit zwar nüscht anfangen“, sagt er, „aber die Trachtengruppe ist ja auch unterwegs, und wir wollen doch nicht provozieren.“ Der richtige Ton, die richtigen Worte. Die Plakate verschwinden umgehend. Jörg ist ein erfahrener Busfahrer. Es ist schon seine fünfte Gipfeltour, das Geschäft mit dem Globalisierungsprotest boomt, und Jörg kennt sich aus, wie man Ärger umgeht: Die Prüfbücher für den Bus hat er eigens eingepackt, in die grüne Fahrtenblattliste wird er gleich vorsichtshalber in alphabetischer Reihenfolge die Passagiernamen eintragen, und noch nachts um drei vor der Abfahrt hat er kurzerhand Busse aus unterschiedlichen Unternehmensfilialen nach Berlin geordert: „Dann haben wir alle unterschiedliche Kennzeichen und fallen nicht weiter auf.“

Die Kontrollen werden langwierig sein. Das Schengener Abkommen, das EU-Bürgern die Passkontrolle an den Grenzen erspart, ist vorübergehend ausgesetzt. „Auf gut Deutsch heißt das, wir werden behandelt wie Ausländer.“ Das passt Jörg gar nicht.

19.30 Uhr. Saschas Handy klingelt. Sascha ist so etwas wie der Organisator der Tour. In Leipzig sind vier einsame Globalisierungskritiker auf der Strecke geblieben. Kein Problem.

21.30 Uhr. An der Autobahntankstelle Günthersdorf werden die Nachzügler aufgelesen. Niemand soll zu Hause bleiben. Die Bezugsgruppe Taxi besorgt sich derweil die Tagespresse. Beim Wiedereinsteigen die unmissverständliche Drohung: „Wir haben deinen Artikel über unser Vorbereitungstraining gefunden. Wir werden darüber abstimmen, ob du weiter mitfahren darfst.“ Es wird allmählich dunkel. Die Gegend seitlich der Autobahn sieht unwirtlich aus. Basti greift zum Mikrofon. Es gibt keine Gnade. Er liest den kompletten taz-Artikel vor. Es geht noch mal glimpflich aus.

23 Uhr. Immer noch einige Stunden bis zum Treffpunkt Weil am Rhein. Dort sollen sich morgens um fünf die etwa zehn Busse aus ganz Deutschland sammeln, um sodann gemeinsam über die Grenze zu rollen. Zeit, Strategien zu debattieren. Denn so viel ist klar: Von den „Bullen“, wie Basti die Grenzer nennt, ist nichts Gutes zu erwarten. Die Feindbilder stimmen. Was also tun, wenn Einzelne aus der Gruppe herausgegriffen und an der Einreise gehindert werden? Sie zurücklassen? Auf keinen Fall. Eher die Grenze blockieren. Was, wenn Flugblätter und Transparente beschlagnahmt werden? Pech? Hauptsache, die Leute kommen an? „Ohne Flyer sind wir nur Polit-Hooligans“, wendet Monika ein. Wie soll sie ohne schriftliches Material über die komplizierten Zusammenhänge von Weltwirtschaft, Verschuldung und Ausbeutung der ärmsten Länder der Erde durch die reichsten aufklären? Die basisdemokratische Diskussion nimmt kein Ende. Je später es wird, desto hypothetischer die Überlegungen, desto wilder die Verschwörungstheorien, desto häufiger die Wiederholungen. Ein SprecherInnenrat wird gewählt. Der soll notfalls mit der Polizei verhandeln. Irgendwann siegt die Müdigkeit.

Donnerstagmorgen, fünf Uhr. Es fehlt noch mindestens eine Stunde bis Weil am Rhein. Sascha telefoniert. Zwei Busse, erfährt er, haben bereits glücklich die deutsch-schweizerische Grenze überquert, ein weiterer, der ebenfalls nicht warten mochte, ist längst in Italien. Zwei Stunden lang wurden zwar Toilettenbeutel gefilzt und Pässe durchleuchtet, aber das war's dann auch.

Kurz vor sieben, Parkplatz Weil am Rhein, sieben Busse machen Halt zur letzten Lagebesprechung. Die gute Nachricht: Basti bietet „Müsli-Riegel, Käsebrötchen und Äpfel“. Die schlechte: Einem Passagier aus dem Hannoveraner Bus ist die Einreise untersagt worden. Es lägen „einschlägige Fahndungstatbestände“ gegen ihn vor, berichtet der Pressesprecher vom Bundesgrenzschutz. Konkret heißt das: Teilnahme an verbotenen Kundgebungen in der Vergangenheit, Landfriedensbruch.

Und wenn es jetzt eskaliert?

Der SprecherInnenrat tagt. Die Debatte ist hitzig, die Stimmung droht zu kippen. Eine fast schlaflose Nacht auf unbequemen Bussitzen trägt nicht eben zur Gelassenheit bei. Eskaliert es jetzt, ist Genua gestorben. Da beweisen die Beamten vom Bundesgrenzschutz, dass sie beim Deeskalationstraining gut aufgepasst haben: „Wir wollen einen reibungslosen Grenzübertritt gewährleisten“, schwört einer, und: „Wir gehen davon aus, dass alle hier in friedlicher Absicht einreisen.“ Das kommt gut an. Der Konvoi macht sich auf bis zur deutsch-schweizerischen Autobahngrenze. Wieder Passkontrollen, Rucksäcke, ausladen, Rucksäche angucken, Gepäck wieder einladen. Nur die Presse darf aussteigen; die anderen müssen im Bus warten, „bis der Dokumentenvergleich abgeschlossen ist“. Für Gunnar, der bei „Taxi“ mit im Bus sitzt, endet er mit einer schlechten Nachricht: Er muss leider draußen bleiben. Palaver. Rechtsbeistand. Eilantrag beim Landgericht Freiburg.

12 Uhr. Die Zeit kennt keine Gnade. „Wenn wir nicht bald weiterfahren, schaffen wir es heute nicht mehr bis Genua“, warnt Jörg. Von Weil am Rhein bis Genua braucht der Bus sieben Stunden – reine Fahrzeit. „Und ab 17 Uhr“, sagt Jörg, „dürfen wir ohnehin nicht weiterfahren.“ Die Fahrer müssen dann acht Stunden Pause machen. Gesetz ist Gesetz.

12.15 Uhr. Es geht weiter. Ohne Gunnar und ohne die Gewissheit, jemals in Italien anzukommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen