Entscheidung beim Dinner

Die wichtigen G-8-Themen stehen nicht auf der Tagesordnung. Über sie wird zwischen Hauptgang und Dessert verhandelt

aus Genua KATHARINA KOUFEN

Es ist den Demonstranten zu verdanken, dass Gipfeltreffen seit einiger Zeit, genau genommen seit der WTO-Tagung in Seattle 1999, auf breites Interesse stoßen. Früher hakten die Medien solche Treffen als das ab, was sie sind: Ein seit mehr als einem Vierteljahrhundert regelmäßig wiederkehrendes Ereignis, für das sich nur die Fachleute interessieren. Informelle Gespräche, auf denen es zwischen den Zeilen um etwas anderes geht, als die offzielle Tagesordnung vorgibt. Vorgefasste Kommuniqués und Statements, deren Inhalte so lange verwässert werden, bis alle Teilnehmer zustimmen können. Und beim Dinner, zwischen Hauptgang und Dessert, dann doch die feinen Nuancen, die zur Folge haben, dass Zinsen gesenkt werden oder Schulden erlassen.

So wird es auch an diesem Wochenende sein, wenn sich in Genua die Staats- und Regierungschefs der mächtigsten Länder der Welt treffen. Bis vor zwei Jahren waren es die G 7, seit dem Kölner Gipfel 1999 ist Russland offiziell in den kleinen Kreis aufgenommen worden, aus den G 7 wurden die G 8. Russland ist mächtig, wenn es am Grad seiner Bewaffnung gemessen wird. Wenn es um Geld und Kreditvergabe geht, hat Russland als Schuldner der anderen Industrieländer weiterhin wenig zu sagen.

Glaubt man der offiziellen Tagesordnung, diskutiert man in Genua vor allem die Armutsbekämfpung – ein Schwerpunkt, den sich die italienische Regierung, die die G-8-Präsidentschaft innehat, gesetzt hat. Dazu gehört der Schuldenerlass für Entwicklungsländer, mit dem sich schon 1999 in Köln die frisch gewählte rot-grüne Bundesregierung profiliert hat. Angeblich plant nun der ebenfalls frisch gewählte italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi auch, „das Thema auf den Tisch zu bringen“, wie es aus Berliner Regierungskreisen im vorab hieß. 1999 haben die G-7-Staaten für 41 hoch verschuldete Länder einen Schuldenerlass beschlossen. Insgesamt 70 Milliarden Dollar können demnach gestrichen werden, rechnet man Zinsen mit ein, die ohne den Erlass über mehrere Jahre hinweg fällig würden. Als eines der Länder, denen die Schulden erlassen werden, ist Mali in Genua mit dabei. Außerdem sind von den Entwicklungsländern Südafrika, Algerien, Nigeria, El Salvador und Bangladesch vertreten.

Auch auf dem letzen G-8-Gipfel im japanischen Okinawa hatte das Thema Schuldenerlass auf der Tagesordnung gestanden. Dort hatten sich die Politiker darauf beschränkt, die schnellere Umsetzung der Kölner Beschlüsse anzumahnen. Dabei dürfte es auch in Genua bleiben. Ein Schuldenerlass für hoch verschuldete Schwellenländer wie Argentinien soll nicht diskutiert werden. Genauso wenig ist geplant, die Kölner Kriterien zu überdenken, obwohl Fachleute das für dringend notwendig halten. „In Köln hat man vieles schöngerechnet“, kritisiert etwa Jürgen Kaiser von der Kampagne „Erlassjahr 2000“.

Millionen für Gesundheitsfonds

Unter das Thema Armutsbekämpfung fällt auch ein Gesundheitsfonds, den UNO-Generalsekretär Kofi Annan einrichten will. Annan wird sich deshalb heute Nachmittag mit den G-8-Chefs treffen. Es wird erwartet, dass die Länder dann bekannt geben, wie viel Geld sie für den Fonds zur Verfügung stellen. Bundeskanzler Schröder hat bereits 300 Millionen Mark zugesagt. Die Amerikaner wollen 200 Millionen Dollar zuschießen. Der UNO-Generalsekretär hofft angeblich auf mindestens eine Milliarde Dollar. Aus dem Topf sollen an Entwicklungsländer Kredite zur Bekämpfung von Aids und Tuberkulose vergeben werden. Aus dem Kanzleramt hieß es, man erwarte „einen intensiven Meinungsaustausch“ zum Thema Armutsbekämpfung.

Dabei soll es auch um die „Überwindung der digitalen Kluft“ gehen, das heißt: Internet für alle, auch in den Entwicklungsländern. Bisher kommen in den 40 ärmsten Entwicklungsländern auf 1.000 Personen 3 Computer, in den Industrieländern sind es 311. Außerdem wollen die G 8 über gemeinsame Richtlinien für die Vergabe von Exportkrediten verhandeln. Dies ist vor allem ein Anliegen der Amerikaner. In Deutschland haben die Grünen sowie Umwelt- und Entwicklungsverbände bereits versucht, härtere Kriterien für die so genannten Hermes-Bürgschaften durchzusetzen. Die Regierung solle für die Kredite privater Exporteure nur dann eine Bürgschaft übernehmen, wenn diese in umwelt- und sozialverträgliche Projekte investieren. Diese Inititiative ist am Widerstand des Wirtschaftsministeriums weitgehend gescheitert. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Bundesregierung in Genua auf verbindliche Richtlinien einlässt.

Weit folgenreicher als Absichtserklärungen zur Armutsbekämpfung wird ein anderes Thema sein, wenn es denn tatsächlich in Genua diskutiert wird: die Vorbereitung der nächsten Welthandelsrunde. Im November wollen sich die WTO-Minister erstmals seit Seattle wieder zusammensetzen. Für viele Freihandelskritiker und Demonstranten unerreichbar wird das Treffen in Doha stattfinden, der Haupstadt des Scheichtums Katar auf der arabischen Landzunge. Die WTO-Minister wollen die Liberalisierung von Dienstleistungen vorantreiben, das so genannten GATS (General Agreement on Trads in Services). Bildung, Gesundheit und Wasserversorgung sollen bald käuflich sein wie eine Firma oder ein Aktienpaket. Inhalte, Standards und Ziele von Bildung würden dann nicht mehr von den Kultusministern festgelegt, sondern richteten sich nach den Interessen privater Firmen. Und das sind finanzielle Interessen: 2,2 Billiarden Dollar jährlich soll allein der weltweite Bildungsmarkt wert sein, rechnete die Unternehmnungsberatung Merrill Lynch vor.

Was macht die Konjunktur?

Die Themen, die die G-8-Staaten wirklich bewegen, werden auch in Genua eher zwischen den Zeilen abgehandelt: Wegen der Klimakonferenz etwa, die zeitgleich in Bonn stattfindet, hat Bundeskanzler Schröder bereits mit dem japanischen Premier Junichiro Koizumi telefoniert. Dieser sagte dem Kanzler, er werde „alles für einen Erfolg tun“. Schröder will in Genau sowohl mit Bush als auch mit Koizumi unter vier Augen sprechen. Was das US-Raketenabwehrsystem (Missile Defense, MS) angeht, so gilt es in Genua vor allem die aufgebrachten Russen zu besänftigen. Die berufen sich auf den ABM-Vertrag von 1972, der das Wettrüsten zwischen den beiden damaligen Supermächten stoppen sollte. Bush hingegen hält den Vertrag für veraltet, weil sich die weltpolitische Lage grundlegend geändert habe. Russlands Empörung ist womöglich auch Kalkül: Das Land könnte auf einen schnelleren Eintritt in die WTO spekulieren und als Gegenleistung die Raketenabwehr dann doch akzeptieren.

Topthema der Veranstaltung wird die schon zum Dauerrenner gewordene Weltwirtschaftsflaute werden. Wie bereits auf den EU-Gipfeln in Nizza und Göteborg dürften die Amerikaner den Europäern signalisieren, sie sollten sich ein Beispiel an den USA nehmen und die Zinsen senken. Die US-Notenbank Fed hat die im vergangenen halben Jahr bereits sechsmal getan, die europäische Zentralbank erst einmal. Auch versucht die Regierung Bush, mit massiven Steuersenkungen die Konjunktur wieder in Fahrt zu bringen. Sollten die USA in Genua dezent mit dem Zaunpfahl winken, damit andere Länder ihre Politik nachahmen, werden sie zumindest bei den Deutschen auf Granit beißen. „Steuersenkungen waren und sind ein wichtiges Thema“, hieß es dazu aus Berlin. Mit der im letzten Jahr beschlossenen Steuerreform sei aber genug getan.